Appell für ein weiteres Entlastungspaket 

Führende Köpfe aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaft und Kultur fordern umgehend eine weitere Entlastung von der Inflation und den aus dem Ruder gelaufenen Energiekosten. Zugute kommen soll diese vorrangig Menschen mit geringen Einkommen. Wo besonderer Handlungsbedarf besteht, zeigen auch eine Reihe von aktuellen Studien.

Unter der Überschrift »Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!« haben prominente Vertreterinnen und Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Kirche, Wissenschaft sowie aus der Kultur einen Appell zu einer raschen und wirkungsvollen Entlastung für Menschen mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen, Rentnerinnen und Rentnern sowie Bezieherinnen und Beziehern von Transferleistungen gestartet. »Eine der Folgen der vielen Krisen ist eine Inflation mit dramatisch steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel und höchst unsozialen Folgen. Für den Zusammenhalt in unserem Land kommt es jetzt darauf an, zuerst die in den Blick zu nehmen, die auf Solidarität angewiesen sind«, heißt es in dem Aufruf. »Sie brauchen nun umgehend eine Entlastung von der Inflation und den aus dem Ruder gelaufenen Energiekosten. Dabei sind besonders diejenigen in Mitverantwortung zu nehmen, die über große Einkommen und Vermögen verfügen.«

Gebraucht werde »umgehend ein zielgenaues und wirksames Entlastungspaket für die, die bereits heute fast zwei Drittel ihres Einkommens für Lebensmittel, Energie und Miete aufbringen müssen«, so die Forderung. Verwiesen wird dazu auf »gute Vorschläge«, die bereits vorliegen. »Sie müssen jetzt politisch umgesetzt und gegenfinanziert werden von denen, die das leisten können und womöglich sogar von den diversen Krisen profitieren.« 

»Durch die Preissteigerungen drohten soziale Verwerfungen, wenn die Politik nicht durch weitere, gezielte Entlastungen gegensteuert«, warnt der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG in Thüringens, Jens Löbel. Nötig seien »spezielle Hilfen für Beschäftigte mit geringen Einkommen«, sagte er der »Thüringer Allgemeinen«. Die Gewerkschaft hat die Kaufkraftverluste berechnen lassen, also die Auswirkungen der Inflation auf die verfügbaren Haushaltseinkommen. Wegen gestiegener Preise müssten die Menschen landesweit allein für Lebensmittel 460 Millionen Euro mehr aufbringen; insgesamt belaufe sich der Kaufkraftverlust auf fast eine Milliarde Euro.

Auch die LINKE drängt bereits seit längerem auf ein drittes und umfassend wirksames Entlastungspaket, das schnellstmöglich vom Bundestag verabschiedet werden soll: ein sozialer Klimabonus von 125 Euro im Monat pro Haushalt, 50 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen; Erhöhung der Sozialleistungen um 200 Euro pro Monat, Verlängerung des 9-Euro-Tickets bis Jahresende. Mit einem Gaspreisdeckel soll, wie es in anderen EU-Staaten bereit getan wird, die Kostensteigerungen für Verbraucherinnen und Verbraucher beim Gas eingedämmt werden. Strom- und Gassperren sollten nach dem Willen der LINKEN-Spitzen gesetzlich verboten werden. Außerdem wird der Vorschlag erneuert, ein bezahlbares Grundkontingent für Strom und Gas für alle gesetzlich zu garantieren.

Auch die Forderung nach einer Übergewinnsteuer bleibt aktuell. Inzwischen haben mehrere europäische Staaten eine solche Abgabe beschlossen, darunter Italien, Großbritannien, Griechenland, Spanien und Rumänien. In der Bundesrepublik stemmen sich vor allem die FDP und der Bundesfinanzminister Christian Lindner dagegen. Zuletzt war auch eine von Bremen und anderen Bundesländern geforderte Übergewinnsteuer auf krisenbedingte Extraprofite von Unternehmen in der Länderkammer gescheitert; obwohl die zuständigen Fachausschüsse zuvor positiv über die Initiative geurteilt hatten. Bei der Abstimmung wurde der Vorstoß von Bremen, Thüringen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Hamburg unterstützt. 

Statt starke Schultern und hohe Profite zur Finanzierung solidarischen Ausgleichs heranzuziehen, plant Lindner wegen der Inflation Steuersenkungen. Doch von denen würden die »am stärksten profitieren, die am meisten verdienen – und am wenigsten unter der Inflation leiden«, wie auch die »Süddeutsche« urteilt. Laut Berechnungen der Arbeitnehmerkammer Bremen käme eine allgemeine Steuersenkung »primär Besserverdienenden zugute und würde sie stärker entlasten als Menschen mit kleinen Einkommen«. 

Stattdessen fordern auch Expertinnen und Experten weitere Hilfspakete. Zwar würden die bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenpakete vor allem Haushalte im niedrigsten Einkommensdezil, also jene 10 Prozent mit den geringsten Einkommen. »Dennoch gleichen sie die Mehrbelastung nicht vollständig aus. Zudem lässt sich beobachten, dass Haushalte bereits ab dem zweitniedrigsten Einkommensdezil signifikant belastet bleiben. Vor allem wegen geringer Sparguthaben und wenigen Anpassungsmöglichkeiten ist die untere Mittelschicht besonders von Preissteigerungen betroffen«, heißt es beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. »Weitere Hilfspakete sollten gezielt einkommensschwache Haushalte entlasten. So könnten beispielsweise die Grundsicherung vorzeitig angepasst und die Energiepreispauschale vor allem für die unteren Einkommen erhöht werden.«

Hierbei müsste unbedingt, ergänzt das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, die »soziale Schieflage« bei der Behandlung von Nichterwerbstätigen, wie Menschen im Ruhestand, behoben werden: »Hier fällt die Entlastung auch bei Haushalten mit niedrigem Einkommen sehr gering aus, sofern diese keinen Anspruch auf den Heizkostenzuschuss oder ergänzende Grundsicherung haben oder wahrnehmen«, heißt es in einer Studie über die Wirkung der bisherigen Entlastungspakete. Entsprechende Gesetze wurden ab März 2022 verabschiedet und entfalten überwiegend jetzt im Sommer ihre Wirkung – etwa durch Erhöhung der Steuerfreibeträge, eine Energiepreispauschale für Erwerbstätige sowie einen Kinderbonus und Pauschalen für Leistungsempfangende ebenso wie eine dreimonatige Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage. 

Allerdings rollt die Preiskrise weiter; schon jetzt ist klar, dass auf die Bürgerinnen und Bürger weitere Zusatzkosten zukommen werden. LINKE, Gewerkschaften, Sozialverbände und andere drängend deshalb auf schnelle Abhilfe. Der neue Appell weist auf die Dringlichkeit hin und benennt die politischen Risiken, sollte die Ampel nicht handeln. Das sozialstaatliche Versprechen der Bundesrepublik, das allen »Bürgerinnen und Bürgern eine gerechte Teilhabe, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft« zusichere, sei »wertlos, wenn es sich in Krisenzeiten nur für die Einkommens- und Leistungsstarken im Land bewahrheitet. Sollte das geschehen, droht unserer Demokratie eine nie dagewesene soziale und politische Zerreißprobe.« Mit dem Appell mache man sich »für eine nachhaltige und ökologische Politik des Respekts, der gegenseitigen Verantwortung und der Solidarität in einer offenen Gesellschaft« stark. (aus Susannes Büros)