Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten(Tagesordnungspunkt 19)

Ich teile das Ziel des Gesetzentwurfs, Gerichtsverfahren bürgerfreundlicher, ressourcenschonender und effizienter zu gestalten. Zeit und Kosten zu sparen und damit schneller Recht zu sprechen, ist richtig und gut. Richtig ist auch, die technischen Voraussetzungen dafür an allen Gerichten gleichermaßen vorzuhalten und ein für alle Beteiligten transparentes Verfahren für den Einsatz von Videotechnik zu schaffen, wie es der Bundesjustizminister plant.

Gerade in den geplanten Verfahren gibt es meiner Auffassung nach aber noch erhebliche Unschärfen, die noch ausgeräumt werden müssen, damit der Einsatz der Videotechnik wirklich zu einer Win-win-Situation für alle an Gerichtsverfahren Beteiligten werden kann. Ich möchte beispielhaft drei Punkte benennen, wo eine Präzisierung und unter Umständen auch eine Korrektur des Gesetzentwurfs nötig erscheinen:

Erstens. Der Einsatz von Videotechnik soll nach den Vorstellungen des Bundesjustizministers auch in der Sozialgerichtsbarkeit zur Anwendung kommen. Häufig geht es vor den Sozialgerichten um die Bewilligung existenzsichernder Leistungen, und nicht selten sind die Menschen, um deren Leistungen es geht, gerichtsunerfahren. Beides zusammen stellt schon für sich genommen eine Hürde für die Betroffenen für den Gang vor ein Gericht dar. Dem sollte der Gesetzgeber nicht eine weitere Hürde hinzufügen.

Richtig ist, die Verfahrensbeteiligten sollen laut Gesetzentwurf den Einsatz von Videotechnik ablehnen können. Viel besser wäre es doch aber, gerade in sehr sensiblen Lebensbereichen den Zugang zu gerichtlichen Verhandlungen gezielt einfach zu halten, indem mündliche Verhandlungen in Präsenz weiterhin das übliche Verfahren darstellen.

Zweitens erscheinen Präsenzverhandlungen als Regel auch in einem weiteren Feld der Rechtsprechung angezeigt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund weist darauf hin, dass Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht gerade für die Arbeitsgerichtsbarkeit von herausgehobener Bedeutung sind. In den für Arbeitsrechtsprozesse typischen Güteverhandlungen kommt es in besonderer Weise darauf an, dass die Konfliktparteien miteinander in Kontakt treten und feine Nuancen, die Mimik und Gestik sowie Zwischentöne wahrnehmen können. Die Güteverhandlung ist als Instrument auch deshalb so erfolgreich, weil sich der Grundsatz der Unmittelbarkeit direkt auf das Ergebnis auswirkt.

Drittens. Die Option der vollvirtuellen Verhandlung, bei der die Richterin oder der Richter auch von zu Hause aus gerichtliche Verhandlungen führen können sollen. Das klingt nach schöner neuer Arbeitswelt, in der auch Richterinnen und Richter die Vorteile des Homeoffice nutzen können. Ich gönne es den Richterinnen und Richtern absolut, sich in den Verhandlungspausen und zwischen Verhandlungen auch einmal um die Kinder oder den Haushalt kümmern zu können. Was aus dieser Perspektive aber unter den Tisch zu fallen droht, ist die Transparenz der Justiz und das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Justiz. Darauf hat unter anderem auch der Deutsche Anwaltsverein hingewiesen, und ich möchte diesen Einwand ausdrücklich unterstützen.

Im Namen des Volkes Recht zu sprechen, ist nicht irgendeine beliebige Tätigkeit, die ohne Weiteres in den eigenen vier Wänden erfolgen kann. Vielmehr erfordert sie geradezu den öffentlichen Raum, also den Gerichtssaal als Ort des Geschehens.

Angesichts dieser und weiterer offener Fragen erwarte ich von den anstehenden Beratungen eine Qualifizierung des Gesetzentwurfs, dem wir im Grundsatz aufgeschlossen gegenüberstehen.