Wie Rechtsradikale Krisen instrumentalisieren

Eine Studie nimmt die bedrohliche Entwicklung des Rechtsradikalismus in Thüringen in den Blick. Das Engagement dagegen bleibe eine drängende Daueraufgabe, mahnen die Expert*innen. Das gilt umso mehr, wenn sich Inflation und soziale Sorgen verschärfen – und die extreme Rechte versucht, die Krisen zu instrumentalisieren.

»Die Gefahr, aus rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Motiven angegriffen zu werden, ist in Thüringen nach wie vor extrem hoch«, so fasst die »Tageszeitung« die Erkenntnisse der »Thüringer Zustände 2021« zusammen. Die Studie wurde am Freitag in Erfurt vorgelegt und bietet »eine kompakte, faktenbasierte Darstellung und kritische Einordnung zu demokratiegefährdenden Phänomen in Thüringen. Hierzu werden in elf Beiträgen wissenschaftliche Analysen sowie Einschätzungen auf Grundlage zivilgesellschaftlicher Expertise und aus der Perspektive von Betroffenen vorgelegt«, so die Herausgeber*innen. 

Die Nachrichtenagentur epd zitiert einen der Experten, Axel Salheiser vom IDZ, mit den Worten, der Feind der offenen, pluralen Gesellschaft stehe rechts und erziele Geländegewinne. Kritisiert wird auch, dass die Landesregierung in ihren Statistiken noch immer nicht jeden Vorfall mit klar rechtsextremistischem Hintergrund als politisch motivierte Straftat registriere. Laut der Studie habe sich die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Vorfälle im Jahr 2021 mit 2.770 Straftaten im Vergleich zum bisherigen Rekordwert 2016 mehr als verdoppelt.

Besondereres Augenmerk wird auf rechtsradikale Einflüsse und Aktionen im Zusammenhang mit den so genannten Corona-Protesten sowie auf die rechtsradikale AfD gelegt. Die Nachrichtenagentur dpa zitiert Franz Zobel von der Opferberatungsstelle Ezra, der darauf hinwies, dass mehr als 100 politisch motivierte Gewaltdelikte von den Behörden nicht als solche erfasst worden seien – vor allem rund um die Aufmärsche gegen Pandemie-Maßnahmen. »Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren verweisen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft auf dahinterstehende rechte Ideologien wie Antisemitismus, Verschwörungserzählungen und Bedrohungsmythen.«

Die linke Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss sieht in dem Bericht eine neuerliche Mahnung, »rechte Mobilisierungen auch im Kontext gesellschaftlicher Krisen noch besser zu verstehen«. Gewalttätige Dynamiken, wie sie sich rund um die so genannten Corona-Proteste immer wieder gezeigt hätten, seien »nur Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn sich durch die aktuellen Preissteigerungen und weiteren Krisenerscheinungen die Lage weiter verschärft. Gerade weil es in Thüringen eine gefestigte rechte Szene gibt, die versucht, diese Krisen zu instrumentalisieren und gesellschaftliche Spaltungen weiter zu vertiefen. Die AfD bemüht sich dabei, Kristallisationspunkt rechter Bewegungen zu sein«, warnte König-Preuss.

Umso wichtiger seien durchgreifende soziale Schutzmaßnahmen zum Stopp der momentanen Preisexplosion und zur Verhinderung neuer Armut. Dabei sind Bundespolitik und Landesebene gefordert. Laut dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wird aktuell geprüft, »wie wir einen Schutzschirm für die kommunale Wirtschaft aufspannen und Wohnungswirtschaftsunternehmen helfen können, durch die hohen Primärenergiepreise nicht in Existenzkrisen zu rutschen. Gleichzeitig muss auch den Menschen geholfen werden, die sich weder den erhöhten Benzinpreis noch die radikal gestiegenen Heizkostenpreise leisten können. Es braucht auch hier einen Schutzschirm für Menschen mit niedrigeren Einkommen und für Betriebe, die durch Versorgungsengpässe ins Schleudern geraten.«

Aber auch die progressive Zivilgesellschaft ist gefragt. Gerade praktizierte Solidarität vor Ort wird in Zeiten wachsender sozialen Drucks immer wichtiger. Was können linke Kräfte konkret tun, wenn Menschen aufgrund der Folgen der Preissteigerungen in existenzielle Nöte geraten? Wie können Möglichkeiten für jene schaffen werden, die zwar nicht selbst betroffen sein müssen, deren Gerechtigkeitsempfinden aber nach Möglichkeiten solidarischen Handelns für andere suchen lässt? Können lokale Sozialausschüsse oder Runde Tische der Solidarität, in denen sich Akteure vernetzen, um vorhandene Angebote und Erfahrungen zusammenzubringen – die unter dem Strich dann mehr als die Summe der einzelnen Teile erbringen?

Es wird darauf ankommen, wie es gelingt, betroffenen Leuten zu helfen, andere, die das auch wollen, zusammenzubringen, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen, eben: praktische Solidarität zu ermöglichen und selbst zu leisten.

Die »Thüringer Zustände« werden herausgegeben von Ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, von Mobit – Mobile Beratung in Thüringen – für Demokratie – gegen Rechtsextremismus, vom Komrex – Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Friedrich-Schiller-Universität Jena und vom IDZ – Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. (aus Susannes Büros)