Stichwort: Rekommunalisierung

Immer mehr Kommunen holen Leistungen der Daseinsvorsorge wieder in öffentliche Verantwortung zurück: Rekommunalisierung heißt das Stichwort, der lange währende Trend zur Privatisierung ist gestoppt. Kein Wunder, denn viele Städte und Gemeinden bekamen nachteilige Folgen des Ausverkaufs zu spüren: weniger Einnahmen, weniger kommunale Entscheidungsmacht, oft höhere Preise und schlechterer Service. Aber wie geht Rekommunalisierung, welche Beispiele gibt es und wo finden Interessierte wichtige Informationen? Ein Überblick.

»Überschaubare Wirtschaftseinheiten und angemessene Gewinnerwartungen stehen bei den Menschen wieder hoch im Kurs. Und der Staat ist wieder zum ersten Adressaten für Schutzwünsche und Sicherheitserwartungen geworden«, so haben es Tim Engartner und Siegfried Broß schon 2013 in den »Blättern« formuliert: Vom Wasser bis zur Müllabfuhr«, es gibt eine »Renaissance der Kommune«. 

In den vergangenen 20 Jahren holten viele Städte und Gemeinden Leistungen, die für das alltägliche Leben zu Hause wichtig sind, in die öffentliche Hand zurück. Vera Weghmann gibt in einer Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Überblick über die Entwicklung von Rekommunalisierungen hierzulande und im Ausland. Anhand von Beispielen in der Bundesrepublik in verschiedenen Bereichen wie Wasser, Energie, Abfall, Krankenhäuser, Wohnen, Verkehr und so weiter werden rechtliche Rahmenbedingungen, politische Herausforderungen und praktische Erfahrungen diskutiert. Die Broschüre soll vor allem Ideen geben und eine Argumentationshilfe für progressive und linke kommunale Amts- und Mandatsträger*innen sowie lokalpolitisch engagierte und interessierte Menschen sein. 

In Thüringen haben Städte und Gemeinden die regionale Tochter des Essener Energiekonzerns Eon vor fast zehn Jahren vollständig in kommunales Eigentum übernommen. Im Ilm-Kreis votierten 2014 bei einem Bürgerentscheid 73 Prozent dafür, die Abfallwirtschaft wieder durch den Landkreis anzubieten. Die Stadt Gera kaufte mit Unterstützung des Landes vor einigen Jahren privatisierte Wohnungsbestände zurück. In Thüringer Gemeinden kamen Kindergärten von freien Trägern wieder in kommunale Hoheit zurück. Und das sind nur einige Beispiele aus dem Freistaat. Die Thüringengestalter haben Ende 2020 eine Studie über die Chancen und Risiken von Rekommunalisierungsmaßnahmen vorgelegt. Darin werden auch mögliche Verfahrensschritte und Fallbeispiele vorgestellt.

»Leistungen der Daseinsvorsorge müssen durch die Kommunen selbst wahrgenommen werden. Für Profitinteressen darf dabei kein Platz sein. Deshalb gilt es im Interesse des Gemeinwohls, das öffentliche Eigentum zu erhalten und keine weitere Privatisierung kommunaler Leistungen zuzulassen. Vielmehr sind Rekommunalisierungen für die Stärkung der Daseinsvorsorge notwendig«, hieß es schon im 2011 verabschiedeten Grundsatzprogramm der LINKEN. Im jüngsten Wahlprogramm von 2021 schlug die Partei unter anderem einen Fonds des Bundes zur Rekommunalisierung vor, »um eine weitere Privatisierung zu verhindern und Entprivatisierungsbestrebungen zu unterstützen«. Unterstützung und rechtliche Beratung, heißt es da weiter, »können durch eine Rekommunalisierungsagentur organisiert werden, damit nicht in jeder Kommune das Rad neu erfunden werden muss«.

Aber was ist konkret zu tun, um Angebote der Daseinsvorsorge, zum Beispiel Energie, Wasser- oder Abfallentsorgung wieder in die öffentliche Hand zu überführen? Welche Risiken und Schwierigkeiten sind zu bedenken? Darauf antwortet ein inzwischen in dritter und aktualisierter Auflage erschienener Leitfaden der Linksfraktion im Bundestag. »Weil die Bedingungen vor Ort jeweils unterschiedlich sind, ist er selbstverständlich kein stur anzuwendendes Schema, sondern als Checkliste und Orientierungshilfe zu verstehen.« In sechs Abschnitten geht es unter anderem darum, wie eine Bestandsaufnahme vor Ort umgesetzt wird, wie man politische Unterstützung mobilisieren kann und was zur konkreten Vorbereitung des jeweiligen Projekts wichtig ist.

In vielen Kommunen kämpfen soziale Bewegungen für eine solidarische Energiewende. Sie fordern öffentliche Unternehmen und eine Rekommunalisierung von Übertragungsnetzen. Aus den Erfahrungen, insbesondere in Berlin, lässt sich vieles lernen, schreibt Judith Dellheim in der Zeitschrift »LuXemburg« und blickt vor allem auf die Frage, welche Instrumente der partizipativen Demokratie wie etwa Bürgerbegehren bei der Rekommunalisierung spielen kann. 

Die Linksfraktion im Bundestag unterstützt Kommunen, die privatisierte Leistungen wieder in die eigene Verantwortung übernehmen wollen. Zum Thema Rekommunalisierung wurden in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen eingebracht. 2022 wurde im Bundestag beantragt, Wasser durch Rekommunalisierung zu schützen. Als ein lebensnotwendiges, öffentliches Gut, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden darf, solle Wasser grundsätzlich dem Einflussbereich von Marktspekulationen entzogen werden – über eine vom Bund geförderte Rekommunalisierung von Wasserbetrieben. 2020 wurde vorgeschlagen, die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in der Daseinsvorsorge zu fördern. Bereits 2019 wurde die Bundesregierung aufgefordert, Entwurf für ein Rekommunalisierungsgesetz vorzulegen, mit dem unter anderem die Gründung einer Anstalt des öffentlichen Rechts vorangetrieben werden sollte, um Kommunen bei Rekommunalisierungsvorhaben zu unterstützen. Die bundeseigene KfW Bankengruppe sollte zinsfreie Darlehen für Kommunen zur Verfügung stellen, um Rekommunalisierungsvorhaben zu finanzieren. 

Einen umfassenden Überblick über »Rekommunalisierung in Europa« hat 2019 die Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung vorgelegt. Anhand zahlreicher wichtiger Beispiele der Rekommunalisierung von Dienstleistungen in der EU – darunter in Berlin, Potsdam, Böblingen, Springe, Freiburg, Kiel und anderen deutschen Kommunen – wird in dieser Studie unter anderem der volkswirtschaftliche Wert öffentlicher Infrastrukturen und Investitionen gezeigt. 

Bereits 2014 erschien eine Studie von Kaya Kinkel, die am Beispiel von drei Kommunalwerken in Nordhessen untersucht, wie der Prozess der Rekommunalisierung gestaltet werden kann und welche Teilprozesse wie Netzrückkauf, Vertrieb und Erzeugung mit welchen Herausforderungen verbunden sind. Auch die Frage, welche Bedeutung die Rekommunalisierung von E.ON Mitte AG hat, wird in der Arbeit behandelt, die in der Reihe »Wuppertaler Studienarbeiten zur nachhaltigen Entwicklung« erschienen ist. (Zusammenstellung: aus Susannes Büros)