Gegen die Kriminalisierung der Klimabewegung

Politikerinnen und Politiker der LINKEN rufen in einem gemeinsamen Appell dazu auf, die Kriminalisierung der »Letzten Generation« zu beenden. Statt Rechte der Klimabewegung einzuschränken und mit öffentlichen Diffamierungen sogar Gewalt zu befördern, seien konsequenter Klimaschutz und effektive Maßnahmen gegen die Folgen der Klimakrise nötig.

Gemeinsame Erklärung der rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Landtagsfraktion der LINKEN aus Berlin, Bremen, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie der rechtspolitischen Sprecherin und Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Bundestag anlässlich der 94. Konferenz der Justizministerinnen und -minister am 25. und 26. Mai 2023 in Berlin

Uneingeschränkte Wahrung von Grund- und Menschenrechten im Umgang mit zivilgesellschaftlichen Klimaprotesten statt Kriminalisierung

Mit großer Sorge nehmen wir die in den vergangenen Monaten und Wochen aggressive Stimmung gegen die Organisation »Letzte Generation« wahr, die vor allem von rechten und rechtskonservativen Politikerinnen und Politikern befeuert wird: Sie diffamieren Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, verlangen Strafschärfungen gegen sie sowie die Ausweitung der in Bayern bereits existierenden Präventivhaft und fordern zuletzt sogar das Verbot der Organisation »Letzte Generation«.

In der hitzigen Diskussion um die Kriminalisierung der Klimaproteste treten dabei die im Grundgesetz garantierten Bürgerinnen- und Bürgerrechte vermehrt in den Hintergrund. 

Diese Entwicklung ist im Hinblick auf die Bedeutung insbesondere des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beunruhigend und gefährlich. Das Versammlungsgrundrecht, das sowohl in Art. 8 des Grundgesetzes als auch in einigen speziellen Landesgesetzen verankert ist, gehört zu den tragenden Säulen einer Demokratie und ist – wie das Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG – besonders schützenswert. 

Diejenigen in der Bundesregierung, die fordern, die Aktionen der »Letzten Generation« mit »voller Härte des Rechtsstaats« zu bekämpfen, übersehen dabei auch noch ein weiteres elementares Grundprinzip unseres demokratischen Rechtsstaats: Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieses Prinzip hat Verfassungsrang und besagt, dass der Staat bei jedem Eingriff in die (Grund-)Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger immer das mildeste geeignete Mittel wählen muss. 

Der Großteil der Politik setzt sich kaum mit den Protestformen des zivilen Ungehorsams in der Reichweite der durch das Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit auseinander, derer sich die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten bedienen, sondern kriminalisiert diese pauschal. 

Dabei ist ziviler Ungehorsam kein neues Phänomen, sondern schon seit der Antike ein legitimes Mittel, um sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen. Auch Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Rosa Parks haben durch zivilen Ungehorsam große politische Veränderungen bewirkt. Es handelt sich um eine Protestform, die gezielt Störungen verursacht, um die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken. Dabei gehen die Protestierenden aktiv und gewaltlos gegen Ungerechtigkeiten vor. 

Genau das tut die »Letzte Generation«. Sie protestiert gegen die Untätigkeit der Regierung und fordert sie auf, die Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz umzusetzen. Sie verlangt von der Regierung, sich an das Grundgesetz zu halten und die Rechtsbrüche zu beenden. Für dieses Ziel ist sie bereit, mit gewaltlosen Sitzblockaden auch notfalls gegen Gesetze zu verstoßen. 

Die Klimabewegung bekennt sich anders als menschenverachtende rechte Gruppierungen, die mit Waffengewalt den Staat zu stürzen beabsichtigen, gerade ausdrücklich zu den im Grundgesetz niedergelegten Grundsätzen wie dem Schutz der Menschenwürde sowie der Grund- und Menschenrechte.  

Ziviler Protest ist für die Entwicklung einer Demokratie unerlässlich. Diese Protestform zu verbieten, hieße die Menschen zu entmündigen und ihnen ihre Rechte abzusprechen. 

DIE LINKE verteidigt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaproteste gegen die aktuellen Angriffe von Union, SPD und FDP. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass in einer repräsentativen Demokratie mit nur geringen plebiszitären Elementen die Bürgerinnen und Bürger zwischen den Wahlen lediglich begrenzten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können. Ihnen verbleibt als politische Einflussnahme daher vor allem die kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit. Diese trägt dazu bei, das Defizit an politischer Einflussnahme gegenüber Verbänden, Lobbyisten und den Massenmedien zu kompensieren. Statt also die aktuellen Klimaproteste zu kriminalisieren und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schleifen, sollte im Grundgesetz direkte Demokratie ermöglicht und damit alternative Handlungsformen eröffnet werden.

Wir rufen alle Politikerinnen und Politiker dazu auf, die Kriminalisierung der »Letzten Generation« zu beenden und warnen vor weiterer Hetze gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, die die Bevölkerung ermutigt, Selbstjustiz zu üben. 

Stattdessen appellieren wir, die elementaren Grundpfeiler der Demokratie, die Grund- und Menschenrechte gerade in Zeiten, in denen der Rechtsruck überhandnimmt, besonders zu achten, zu wahren und zu schützen. Dazu gehört auch, auf demokratische, soziale und gerechte Ziele gerichteten zivilen Ungehorsam anzuerkennen und zu akzeptieren. 

Statt (Grund-)Rechte einzuschränken, muss die Regierung für einen konsequenten Klimaschutz sofort effektive Maßnahmen ergreifen und sich ernsthaft inhaltlich mit der Klimakrise auseinandersetzen. Nicht den Menschen, die sich für eine klimagerechte Zukunft einsetzen, gilt der Kampf, sondern der Klimakatastrophe.

Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus, Marlen Block, rechtspolitische Sprecherin der LINKEN im Brandenburger Landtag, Ralf Schumann, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN in der Bremischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, rechtspolitische Sprecherin der LINKEN in der Hamburgischen Bürgerschaft, Michael Noetzel, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Ulrich Wilken, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN im Hessischen Landtag, Rico Gebhardt, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN im Sächsischen Landtag, Eva von Angern, rechtspolitische Sprecherin der LINKEN im Landtag von Sachsen-Anhalt, Iris Martin Gehl, rechtspolitische Sprecherin der LINKEN im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, Obfrau im Rechtsausschuss des Bundestages