Aufgelesen: Drei Mal Gleichheit, Teil III

Aus Thomas Pikettys gar nicht so kurzen »Kurzen Geschichte der Gleichheit« könnte jede Bewegung hin zu mehr Gleichheit lernen, die an der Möglichkeit eines demokratischen und föderalen, dezentralisierten und partizipativen, ökologischen und multikulturellen Sozialismus festhält. Letzter Teil unserer Miniserie.

Es ist in schweren Zeiten wie diesen auch einmal ganz hilfreich, wenn jemand optimistisch bleibt. So wie Thomas Piketty, der französische Wirtschaftswissenschaftler: »Es gibt menschlichen Fortschritt und der Weg zur Gleichheit ist ein Kampf, der gewonnen werden kann.« Natürlich lässt der prominente Beforscher der Ungleichheit deshalb nicht den notwendigen Realismus links liegen. Ja, es ist dies »auch ein Kampf mit ungewissem Ausgang, ein anfälliger sozialer und politischer Prozess, der nie abgeschlossen und gesichert ist«. 

In Pikettys neuer, sehr verdichteten Weltgeschichte der sozialen Auseinandersetzungen um Gleichheit wird kenntnisreich geschildert, dass Ungleichheit nichts »von Natur gegebenes«, nichts Alternativloses ist, sondern »zunächst und vor allem eine soziale, historische und politische Konstruktion«. Denn »die zugrundeliegenden Entscheidungen sind politischer Natur. Sie sind abhängig von Kräfteverhältnissen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und herrschenden Weltanschauungen, und sie führen zu Ungleichheitsniveaus und -strukturen, die je nach Gesellschaft und Epoche extrem unterschiedlich sind.«

Pikettys verfolgt die Geschichte der Ungleichheit, die also immer auch eine des Ringens um Gleichheit ist, allerdings nicht allein aus wissenschaftlichem Interesse. Ihm geht es um »einen demokratischen, ökologischen sowie ethnisch und kulturell diversen Sozialismus«. Und den Weg dorthin müssen seiner Auffassung nach »diejenigen Institutionen gestärkt und allgemein verbreitet werden, die im Laufe des 20. Jahrhunderts Gleichheit, menschlichen Fortschritt und Wohlstand befördert haben, angefangen mit dem Sozialstaat und der progressiven Steuer«.

Piketty plädiert dafür, die Logik solcher institutionalisierten Ergebnisse sozialer Auseinandersetzungen um Gleichheit zu Ende zu denken: Seiner Meinung nach stellen sie »einen wesentlichen Schritt zu einer neuen Form« dezentralisierten Sozialismus’ dar, »der auf Selbstverwaltung und permanenter Macht- und Eigentumszirkulation beruht«. Das so ausgerichtete Engagement für Gleichheit setzt also auf »einen Strukturwandel, der eine andere Welt eröffnet, die sehr viel befreiter und egalitärer als unsere heutige Welt sein könnte«.

Unlängst hat Piketty den Kern seines neuen Buches in den »Blättern« auf den Punkt gebracht. Was er da beschreibt, sei »nur ein erster Entwurf mit zahlreichen Schwächen und Grenzen«. Ausgebauter Sozialstaat und progressive Steuer müssten »mit einer Reihe anderer Instrumente kombiniert werden, die geeignet sind, insbesondere die Gleichheit der Bildungschancen und die Verhandlungsmacht« der Beschäftigten zu stärken. 

So skizziert der Ökonom unter anderem »ein System der Erbschaftsverteilung, durch das die gesamte Bevölkerung in den Genuss eines Minimalerbes kommen könnte. Das Erbe für alle zielt zunächst darauf, die Verhandlungsmacht all derer zu stärken, die so gut wie nichts besitzen«. Außerdem ist Pikettys Idee einer Erbschaft für alle »nur als Ergänzung eines Grundeinkommens und einer Beschäftigungsgarantie sinnvoll«. Auch hebt er »die von Rudolf Meidner und seinen Kollegen vom schwedischen Gewerkschaftsbund LO in den 1970er und 1980er Jahren aufgebrachte Idee der ›Lohnfonds‹« hervor; die heute in Forderungen nach Schaffung öffentlicher Investitionsfonds auf lokaler und kommunaler Ebene wieder aktualisiert werden.

»Meine Absicht ist es nicht, die Diskussion abzuschließen, sondern vielmehr ihre Tragweite herauszustellen«, so Piketty: »Die konkreten Formen der Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsdemokratie wollen stets wieder neu erfunden werden.« Und man wird dabei nicht aus den Augen verlieren dürfen, dass es starke und mächtige Interessen gibt, die weiter und weiter auf die Schwächung des Sozialstaats und der progressiven Steuer hinwirken. 

In der »Kurzen Geschichte der Gleichheit« lässt sich diese reaktionäre Gegenbewegung verfolgen. Und sie hat Ergebnisse, die heute als Blockaden einer anderen Zukunft wirken. Denn es ging dabei nicht nur um Beeinflussung öffentlicher Diskurse, in denen »Leistung« beschworen, soziale Widersprüche vernebelt und Profiteure der Rücknahme des schon einmal erreichten Standes verschleiert werden. Die Gegenbewegung zur Wider-Vertiefung der Ungleichheit »hat sich auch in einer Reihe internationaler Regeln und Verträge niedergeschlagen, die darauf zielen, den Wandel so unwiderruflich wie irgend möglich zu machen«. Zum Beispiel im EU-Regelwerk.

Er verteidige, so Piketty in seinem Buch, »die Möglichkeit eines demokratischen und föderalen, dezentralisierten und partizipativen, ökologischen und multikulturellen Sozialismus«. Diese solle unter anderem »auf Ausweitung des Sozialstaates und der progressiven Steuer, auf Machtverteilung in den Unternehmen, auf postkolonialer Wiedergutmachung und dem Kampf gegen Diskriminierungen« beruhen. Außerdem nennt der Bestseller-Autor Bildungsgleichheit, fortschreitende Dekommodifizierung der Wirtschaft, also die Zurückdrängung von Privatisierungsideologie und Marktgläubigkeit. Sein Weg zu einem demokratischen Sozialismus ist zudem vom »drastischen Abbau monetärer Ungleichheiten« sowie »einem Wahl- und Mediensystem« charakterisiert, »das sich endlich dem Zugriff der Geldmächte entwindet«. 

Nein, eine sich selbst erfüllende Anleitung ist dieses Buch nicht. Wer sich dem Ziel einer Gleichheit verpflichtet fühlt, wird schon »durch eigenes Handeln und Teilnahme an öffentlichen Debatten und sozialen Bewegungen einen Beitrag« leisten müssen; selbst »Einfluss auf die laufenden Veränderungen nehmen«. 

Denn soviel ist sicher: Die Auseinandersetzung um die Zurückdrängung von Ungleichheit  und der sie stabilisierenden, verschärfenden Institutionen und Regeln findet so oder so statt. Wer sich darin für Gleichheit engagiert, wird beides brauchen: »einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens« (Antonio Gramsci). Denn wie Piketty schon eingangs sagt: »Es gibt menschlichen Fortschritt und der Weg zur Gleichheit ist ein Kampf, der gewonnen werden kann.« Sein neues Buch ist hilfreich für alle, die an die Stelle von »werden kann« einmal »wird« setzen möchten. (aus Susannes Büros)

In der Reihe »Aufgelesen« blicken wir in Zeitungen und Zeitschriften sowie auf aktuelle Studien und Bücher. 

In Teil 1 dieser Miniserie ging es um César Rendueles, der beschreibt, wie wir mit Gleichheit als kollektivem Ziel aus der elitären Dystopie ausbrechen und die sozial-ökologische Krise überwinden können. In Teil 2 pochten Horst Kahrs und Klaus Lederer darauf, dass nicht Gerechtigkeit, sondern Gleichheit die zentrale Scheidelinie zwischen linker und rechter Politik ist und skizzieren, was das für sozialistische Politik bedeutet.