»Auf dem Rücken der Ärmsten«

CDU und CSU machen gegen die Bürgergeld-Pläne der Ampel Front – mit Falschbehauptungen, fehlerhaften Studien und Herabwürdigung von Erwerbslosen. Der Gewerkschaftsbund DGB weist es als ekelhaft zurück, wie hier Bürgergeldbezieherinnen und Menschen mit Niedriglohn ausgespielt werden. Dagegen hilft nur Aufklärung. Und die Klarstellung, wo die Hartz-Reform wirklich zu kurz greift. 

Carsten Linnemann ist wirklich nur ein Beispiel, aber ein erhellendes: Der CSU-Mann saß vor ein paar Tagen in einer Polit-Redeshow und regte sich über die Bürgergeld-Pläne der Ampel auf. Nicht etwa, weil die Erhöhung des Regelsatzes in Zeiten von Energiekrise und Inflation viel zu gering ist. Nicht etwa, weil mit der Reform vor allem der Name geändert wird, aber am Prinzip des umstrittenen Hartz-Regimes zu wenig. Sondern, so Linnemann, weil es angeblich »besser ist, man nimmt das Bürgergeld, als wenn man arbeitet«. Gegenüber denen, die früh aufstehen müssten, um zur Lohnarbeit zu fahren, sei es nicht zu »rechtfertigen, das der 800 Euro weniger hat«. 

Einmal abgesehen davon, das scho in der Formulierung von den früh aufstehenden Lohnarbeitenden die Verdächtigung eingeschrieben ist, Erwerbslose und Hartz-Iv-Empfängerinnen würden stets lange ausschlafen können, ist die Rechnung schlicht und einfach falsch. Johannes Steffen vom »Portal Sozialpolitik« hat das ausführlich mit Zahlen belegt. Aber Linnemann ist kein Einzelfall; schon zuvor hatte die CSU auf Twitter Stimmung gegen das Bürgergeld gemacht und dazu falsche Zahlen genutzt. Diese korrigierte unter anderem der Gewerkschaftsbund DGB. Die Vorsitzende Yasmin Fahimi nannte es »einfach nur ekelhaft, wenn versucht wird, Bürgergeldbezieher und Menschen mit Niedriglohn gegeneinander auszuspielen«. Auch viele andere bemühen sich redlich, in dem Kurznachrichtendienst »Mythen zum Bürgergeld aufzudecken und Desinformation mit Fakten entgegen zu treten«.

Es steckt gewissermaßen System dahinter. Johannes Steffen beschreibt dieses so: »Es gibt eine öffentliche Debatte, das akademische Personal mit einem Institutsnamen im Rücken, enthusiastischem Eifer im Herzen und wenig bis gar keiner Fachkenntnis in der Sache schneidert ›wissenschaftliche Belege‹ – und Politik braucht sich argumentativ nur noch zu bedienen.« 

Das Muster, so Steffen, ist oft das gleiche: Erst werde der »Anspruch auf Bürgergeld bzw. der Gesamtbedarf eines Haushalts alleine mit dem Nettolohn aus einer niedrig entlohnten Beschäftigung« verglichen. Dabei würden »beim Erwerbstätigen-Haushalt die Ansprüche auf die dem Bürgergeld vorgelagerten Sozialtransfers wie Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag oder Unterhalts(vorschuss)-Leistungen nicht oder nicht vollständig berücksichtigt«. Und außerdem werde meist »der aufstockende Anspruch auf Bürgergeld bei niedrigem Lohn« ausgeblendet.

Im konkreten Fall musste das Institut für Weltwirtschaft in Kiel seine Veröffentlichung nach vielfältiger Kritik zurückziehen. Zur Erklärung heißt es dort: »Illustriert werden soll nur der mangelnde Abstand zwischen Lohneinkünften und Bürgergeld.« Die Frage ist: Wenn man schon diesen Abstand zum Anlass nimmt, ist dann das Bürgergeld zu hoch – oder nicht eher das Gehalt zu niedrig? 

Nach Ansicht vieler Expertinnen sind die Regelsätze bei Hartz viel zu niedrig bemessen; weder reicht die Transferleistung für gesunde Ernährung noch für angemessene soziale und kulturelle Teilhabe. Für viele Familien ist am Ende des Geldes viel zu viel Monat übrig. Ja, das stimmt auch für Menschen mit Niedrigeinkommen. Aber denen würde es auch nicht helfen, wenn das Bürgergeld niedriger oder das umbenannte Hartz-Regime auf mehr Kontrolle, Zwang und Druck basiert.

Auch der Thüringer CDU-Landes- und Fraktionschef Mario Voigt beteiligt sich an der Kampagne gegen die Bürgergeld-Reform. »Während Handwerker, Arbeiter und normale Leute den Laden am Laufen halten, gibt es das Steuergeld ohne Sanktionen und ausführliche Prüfung“, behauptete er in der »Thüringer Allgemeinen« und bezeichnete die Ampel-Pläne als »das völlig falsche Zeichen für die Engagierten und Fleißigen«.

Sind Erwerbslose nicht engagiert, nicht fleißig? Sind Menschen, die Hartz-Leistungen beziehen keine »normalen Leute«? Auch Voigt spielt mit der Lohnabstands-Rhetorik, es müsse »immer der Grundsatz gelten: Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben, als derjenige, der nicht arbeitet«. Ankommen in der Öffentlichkeit soll: Das wäre mit der Bürgergeld-Reform nicht mehr so.

Der Fraktionschef der LINKEN im Thüringer Landtag hat die »populistische, auf Fake News setzende und sozialspaltende Kampagne gegen das Sozialstaatsprinzip« zurückgewiesen. Auch die Freistaat-CDU setze auf »widerlegte Darstellungen«, so Steffen Dittes. »Dieser unsoziale Populismus auf dem Rücken der Ärmsten, der offenbar zum Ziel hat, einerseits Niedriglöhne auf Dauer festzuschreiben und andererseits eine menschenwürdige Grundsicherung als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips auf Almosen reduzieren will, ist angesichts der extremem Preisinflation perfide. Dass gleichzeitig aus vielerlei Gründen Erwerbslose, die auf Grundsicherung angewiesen sind, als weniger fleißig und engagiert diskreditiert werden, spaltet die Gesellschaft, statt sie zu einen, und zeigt ein unsolidarisches Menschen- und Gesellschaftsbild der Thüringer CDU.«

Die Thüringer CDU fordert die rot-rot-grüne Landesregierung auf, im Bundesrat gegen die Einführung des Bürgergeldes zu stimmen. Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow hat dazu bereits alles gesagt: »Meine prinzipielle Haltung war immer: Hartz IV muss weg. Deshalb begrüße ich es, dass diese Regelung in ein Bürgergeld umgewandelt wird. Ich möchte nicht, das Menschen, die arbeiten, zum Amt gehen müssen, um ihren Lohn aufzustocken«, sagte Ramelow der »Thüringer Allgemeinen«. Die LINKE habe stets Bedürftigkeitsprüfung und Sanktionen im Hartz-System kritisiert, das Bürgergeld müsse so ausgebaut werden, dass die Menschen davon auch in individuellen Krisenzeiten leben können.

Mit anderen Worten: Die Ampel-Pläne zum Bürgergeld sind ein Schritt in die richtige Richtung, um das alte Hartz-IV zu überwinden. Im Gesetzentwurf finden sich zwar »einige positive Ansätze, etwa die zweijährige Übergangsfrist für Wohnungskosten und Vermögen. Das sind gute Nachrichten für Neu-Antragsteller, bringt aber denen nichts, die schon länger in Hartz IV sind. Auch den Verzicht auf das Eintreiben kleiner Rückforderungen begrüßen wir – schließlich setzt die Ampel damit alte Forderungen der Linksfraktion um«, so die linke Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti.

Aber diese Schritte reichen aus Sicht der LINKEN keineswegs aus. Das angekündigte Bürgergeld erreicht nicht das notwendige Existenzminimum von 687 Euro, das zum Beispiel der Paritätische Gesamtverband berechnet hat.

Auch bestehe die Ampel weiterhin darauf, Hartz-Strafen, so genannte Sanktionen, von bis zu 30 Prozent verhängen zu können – was konkret heißt, dass die Betroffenen dann unterhalb des von der Bundesregierung akzeptieren niedrigen Existenzminimums über die Runden kommen müssen. 

Abgesehen davon ist die behauptete Wirkung von Sanktionen, an denen die Ampel-Parteien festhalten wollen, auch wissenschaftlich hoch umstritten. Dies belegte in diesem September neuerlich eine von von Sanktionsfrei e.V. beauftragte Studie: Hartz-Strafen würden nicht Menschen besser in Arbeit bringen, sondern: »Die stärkste Wirkung, die von Sanktionen ausgeht, ist Einschüchterung und Stigmatisierung.« (aus Susannes Büros)