Mehr unterwegs, mehr Kontakte, mehr soziale Teilhabe

Eine neue Studie aus Erfurt zeigt: Dank 9-Euro-Ticket konnten Menschen mit geringen Einkommen viel mobiler sein. Und das wiederum bringt noch mehr: verbesserte Möglichkeiten für soziale Teilhabe, mehr Freizeitaktivitäten, mehr Kontakte. Bundesweit setzen sich LINKE für gerechte Nachfolge-Regeln ein.

Viel ist über die Wirkung des 9-Euro-Tickets diskutiert worden: Hat die befristete Aktion zu weniger Autofahren geführt? War sie sozial gerecht? Kommt der Öffentliche Nahverkehr mit großer Nachfrage überhaupt klar? Und vor allem: Wer hat das 9-Euro-Ticket genutzt?

Mobilitätsforscherinnen und -forscher der Fachhochschule Erfurt haben Hunderte Menschen aus der Thüringer Landeshauptstadt befragt. Ergebnis: Dank 9-Euro-Ticket haben sich in dem Zeitraum »die Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe von Menschen mit geringen Einkommen wesentlich verbessert hat. Das Ticket ermöglichte für die Befragten vermehrte Sozialkontakte, mehr Aktivitäten außer Haus und eine verbesserte Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge und führte damit insgesamt zu mehr Lebensqualität« für Menschen mit geringen Einkommen. 

Die Mobilitätsexperten konnten auf Auskünfte von über 1.100 Befragten aus sechs ausgewählten Erfurter Stadtteilen wurden im August 2022 zurückgreifen. Vielen Menschen ermöglichte das Ticket »einen Zugang zu Mobilitätsangeboten, die sie vorher nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzen konnten«, heißt es bei der Fachhochschule. Vor allem Menschen mit Einkommen unter 1.250 Euro netto im Monat waren während des Ticketbesitzes nicht nur häufiger unterwegs, sie konnten auch in einem höheren Maß an Freizeitaktivitäten teilnehmen.

Nicht zuletzt zeigte sich den Experten »eine gesteigerte Lebenszufriedenheit vieler Befragten durch vermehrte Sozialkontakte, außerhäusige Aktivitäten und die verbesserte Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge«. Kein Wunder also: »Die große Mehrheit der Befragten wünscht sich ein Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket.« Die Wahlkreisbüros von Susanne in Erfurt und Weimar hatten ebenso wie die Thüringer LINKE kostenlose 9-Euro-Ticket gespendet und verteilt.

»Wenn der Fahrschein für den Weg zum Facharzt zum unüberwindbaren Hindernis wird oder Menschen einsam sind, weil die Pflege von persönlichen Kontakten sich am Ticketpreis entscheidet, dann zeigt das einen eklatanten gesellschaftlichen Missstand. Die Diskussion um ein Nachfolgeticket wird so auch zur Frage, wie gerecht wir unser Verkehrssystem gestalten wollen«, so Claudia Hille, die Leiterin der Studie. »Mit Blick auf die Studienergebnisse sollte eine Nachfolgeregelung sich auch an den Bedürfnissen der unteren Einkommensgruppen orientieren, denn für diese hat das Ticket einen echten Zugewinn in Sachen Lebensqualität gebracht.«

Nach Ansicht der LINKEN sollte der Preis für ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket »auf keinen Fall über dem dafür vorgesehenen Betrag beim Hartz-IV-Regelsatz liegen«. In der längeren Perspektive setzt sich die LINKE für kostenfreien Nahverkehr ein, damit möglichst viele Fahrten auf Bus und Bahn verlagert werden. Das ist aber nicht nur eine Frage der Preise und der Kosten, sondern auch eine des Ausbaus und der Verbesserung des Nahverkehrs. »Alleine mit der Reaktivierung von Bahnstrecken könnten rund drei Millionen Menschen im ländlichen Raum schnell und kostengünstig wieder an das Nahverkehrsnetz angeschlossen werden«, so die LINKE.

Bund und Länder beraten derzeit, wie ein 49-Euro-Ticket für den gesamten Nahverkehr als Nachfolge zum 9-Euro-Ticket aussehen könnte. Diskussionen gibt es über Finanzierungsfragen. In Berlin hat die rot-rot-grüne Landesregierung ein 29-Euro-Ticket als Übergangslösung ermöglicht, so werden »viele Berlinerinnen und Berliner, die aktuell unter den stark steigenden Preisen für Energie, für die Grundversorgung leiden, entlastet«, sagt Kristian Ronneburg von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus – und drängt zudem auf eine Verbilligung des Sozialtickets sowie auf Lösungen für Studierende und Azubis. 

In Thüringen hat der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow jetzt ein 28-Euro-Ticket für junge Menschen im Freistaat vorgeschlagen. Dies solle als ergänzende Thüringer Regelung für Schüler, Azubis und Studierende bis zum Alter von 28 Jahren »die Ungleichbehandlung junger Leute beenden«. 

In Sachsen macht die Linksfraktion ebenfalls Druck: Der Entwurf eines ÖPNV-für-alle-Gesetzes liege vor, sagt Marco Böhme. »Wir wollen einen Mindestbedientakt für alle sächsischen Gemeinden mit regulärem ÖPNV-Angebot und damit eine Mobilitätsgarantie für alle gesetzlich regeln. Kinder, Jugendliche und Menschen mit geringem Einkommen sollen einen Rechtsanspruch auf kostenlose ÖPNV-Nutzung erhalten.« 

Bereits im April 2022 hatten LINKE aus Thüringen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ein »Sondervermögen für Energiesicherheit, Energiesouveränität und ökologische Transformation« vorgeschlagen, mit dem auch ein Beitrag zu einem deutlichen maßgeblichen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs durch Verdopplung der Regionalisierungsmittel von 10 auf 20 Milliarden Euro pro Jahr erbracht werden kann. »Ziel muss eine ÖPNV-basierte Mobilitätsgarantie sowohl in ländlichen als auch städtischen Gebieten sein.« Die Studie aus Erfurt zeigt: Der Bedarf ist da und der soziale Nutzen ist groß. (aus Susannes Büros)