»Nicht ausreichend entlastet«

Die Ampel-Regierung hat ein »Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen« vorgestellt. Wie beurteilen Sozialverbände, Ökonomen und kommunale Unternehmen die am Sonntag vorgestellten Ankündigungen? Ein erster Überblick.

Die Maßnahmen, welche die Bundesregierung als ihr drittes Entlastungspaket am Sonntag vorgestellt hat, wurden zwischen den Koalitionsparteien in »einem 18-stündigen Sitzungsmarathon« verhandelt, anderswo wird die Dauer der Verhandlungen sogar mit 22 Stunden angegeben. Alle Ergebnisse und Ankündigungen finden sich hier. 

Die »Tageszeitung« kommentiert, mit dem Paket sei »vor allem einer gerettet: der ­Koalitionsfrieden«. Es bestehe die berechtigte Befürchtung, »dass es hinten und vorn nicht passt. Arme sind weiterhin arm dran, für die untere Mittelschicht reichen die Kompensationen nicht aus, während Gutverdienenden Geld hinterhergeworfen« werde. »Auf den ersten Blick klingt es gut, was die Bundesregierung bei ihrem Koalitionsausschuss an Entlastungen beschlossen hat. Viele Rentner, Studierende und Familien mit Kindern haben Sorge, ob sie ihre rasant steigenden Rechnungen bezahlen können. Sie bekommen nun etwas mehr Geld, teilweise aber nur eine Einmalzahlung«, heißt es im »nd« zu den Ampel-Maßnahmen. Und die FR schreibt: »Eine Teuerung wie derzeit haben nur die wenigsten Menschen erlebt. Manche wissen nicht, wie sie ihre Energierechnungen und ihre Lebensmitteleinkäufe bezahlen sollen. Für sie ist das Entlastungspaket ein Lichtblick. Aber nicht mehr. Dieses Paket darf daher nicht das letzte Wort sein. Weitere müssen folgen. Denn es geht um nicht weniger als das Wohlergehen der Menschen – und damit um die Grundlage unseres demokratischen Systems. Und Bernd Ulrich von der »Zeit« twitterte, er »finde es provozierend, wenn Christian Lindner von der ›hart arbeitenden Mitte‹ spricht, so als ob es das noch härter arbeitende Unten nicht gäbe.« 

Der Deutsche Mieterbund begrüßte »zwar die angekündigte Wohngeldreform mit dauerhaften Heizkostenpauschalen, einer Klimakomponente und der Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten« auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Eines dürfe »man aber nicht vergessen: Mehr als ein Drittel der einkommensschwachen Mieterhaushalte zahlt bereits jetzt mehr als 40 Prozent seines Einkommens für das Wohnen. Von der für 2023 geplanten Reform des Wohngeldes werden also auch weiterhin viel zu wenige Menschen profitieren. Noch dazu kommt, dass die Antragstellung kompliziert und langwierig ist«, heißt es unter anderem beim Mieterbund. Chef Lukas Siebenkotten zeigte sich »enttäuscht, dass die Ampel-Koalition die Mieterinnen und Mieter mit ihren immer höheren Wohnkosten trotz aller Ankündigungen nicht ausreichend entlastet«.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagte zu den Plänen der Bundesregierung, diese seien »in Summe nicht geeignet, den Ärmsten im Herbst Zuversicht zu geben«. Zwar sei die angekündigte Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten »absolut begrüßenswert. Hier handelt es sich um eine sozialpolitisch überfällige und wirklich wichtige Maßnahme, die allerdings erst im kommenden Jahr greifen wird. Ansonsten muss man sagen: Mit diesem Entlastungspaket werden in erster Linie Fehler und Ungerechtigkeiten aus dem letzten Paket korrigiert, aber keinerlei zusätzliche zielgerichteten Hilfen auf den Weg gebracht, die auch den Ärmsten in der Grundsicherung in diesem Herbst substantiell Unterstützung und Entlastung bringen würden.«

»Wirklich entsetzt« zeigte sich Schneider darüber, »dass diese Bundesregierung in diesem Jahr überhaupt keine weiteren zielgerichteten Hilfen auch für Menschen in der Grundsicherung plant. Die angekündigte Anhebung der Grundsicherung auf knapp 500 Euro ab dem 1. Januar ist allenfalls ein schlechter Witz und wird, wenn überhaupt, gerade die Inflation ausgleichen. So kann das neue Bürgergeld ganz sicher nicht als soziale, innovative Errungenschaft verkauft werden.« Der Paritätische bleibe bei seiner Forderung nach einer pauschalen Anhebung der Regelsätze um 200 Euro ab Oktober. Zusätzlich sollten die Stromkosten als Bestandteil der Wohnkosten in voller tatsächlicher Höhe übernommen werden.

Beim Sozialverband Deutschland SoVD reagierte man ähnlich. »Das Entlastungspaket der Bundesregierung enthält viele richtige Maßnahmen. An einigen Stellen ist es aber zu kurz gesprungen.« Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagte, ihr fehle schnelle Hilfe für Menschen mit kleinem Einkommen, die kein Wohngeld bekommen. »Da reichen die 300 Euro Energiepauschale nicht. Wir brauchen ein Inflationsgeld.« Auch die angekündigte Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung auf etwa 500 Euro für Erwachsene könne »allenfalls ein Zwischenschritt sein«. Der SoVD fordere mindestens 650 Euro. »So oder so können die Betroffenen angesichts der aktuellen Kostenexplosion nicht bis zur Reform des Bürgergeldes warten. Deswegen fordern wir bis zu einer Neuregelung eine monatliche Sofortzahlung von 100 Euro.« Auch fehle völlig »ein fairer Beitrag von Spitzenverdienern und Hochvermögenden zur Finanzierung«. Die Ankündigungen zur Übergewinnsteuer nannte Engelmeier »viel zu vage«.

Auf Enttäuschung stieß auch die Ankündigungen zu einem bundesweiten Nahverkehrsticket. »Wir brauchen eine schnelle Anschlusslösung für das erfolgreiche 9-Euro-Ticket. Diese Chance wurde jetzt verpasst. Wir fordern ein 365-Euro-Ticket. Bus und Bahn für einen Euro am Tag.« Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte, neben 49 Euro für die bundesweite Nutzung müsse »ein 29-Euro-Sozialticket Standard werden, damit wirklich niemand auf der Strecke bleibt«. Positiv bewertete die Diakonie, das »dringende Korrekturen wie Einmalzahlungen an Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Auszubildende kommen«. Wichtig sei aber nun, dass die Beschlüsse »zügig umgesetzt, im Detail aber noch zielgenauer werden« müssten, insbesondere mit Blick auf Einkommensarme. »So können wir bei Grundsicherungsbeziehenden nicht bis zum ersten Januar auf erste Entlastungen warten. Es muss klar sein: bei niemandem darf das Licht ausgehen oder die Heizung abgestellt werden. Auch Sozial- und Pflegeeinrichtungen brauchen direkte Hilfen bei den Energiekosten.«

Beim Sozialverband VdK begrüßte man weite Teile der Ampel-Maßnahmen. Allerdings fehle »auch ein Gaspreisdeckel sowie Lösungen für andere Energieträger wie Heizöl oder Pellets«. Die Wohngeldreform sei richtig, »ganz wichtig ist nun allerdings, dass wirklich alle, die einen Anspruch haben, auch Wohngeld beantragen. Es muss dringend mehr und besser informiert werden.« Mit Blick auf das Bürgergeld sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele, »50 Euro mehr für Empfänger des künftigen Bürgergelds, das ab Anfang nächsten Jahres Hartz-IV ablösen soll, ist allerdings definitiv zu wenig und kommt für viel Menschen zu spät, da sie noch ein Vierteljahr durchstehen müssen.«

Ingbert Liebing, der Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen VKU, sagte, »einige der vorgeschlagenen Maßnahmen sind noch konkretisierungsbedürftig, insbesondere der Mechanismus zur Abschöpfung von Zufallsgewinnen und die daraus finanzierte Preisbremse. All das muss für Energieversorger und Netzbetreiber auch umsetzbar sein. Vor allem aber braucht man sie dafür, sie sind unverzichtbare Säule unseres Versorgungssystems. Deshalb ist es umso notwendiger, dass sich der Bund endlich an einem Schutzschirm für die Stadtwerke beteiligt. Nur so kann die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen gelingen.«

Der Ökonom Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut IMK verwies auf eine »wichtige, potenziell dramatische Lücke im Entlastungspaket: Nichts spezifisches für Haushalte mit Gasheizung. Hier muss die versprochene Kommission schnell eingerichtet werden und Vorschläge unmittelbar umgesetzt werden.« Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sieht »gute Elemente« in dem Regierungspaket, dieses sei »aber bei wichtigen Fragen unausgegoren, verteilt Gelder zu sehr per Gießkannenprinzip und ignoriert den Klimaschutz«. Es gebe außerdem »zu viele Vergessene im Entlastungspaket. Einmalzahlungen für RentnerInnen und Studierende werden für lediglich zwei Monate, aber nicht länger ausreichen. Dauerhafte Hilfen für diese Menschen, mindestens für die kommenden beiden Winter, wären dringend notwendig gewesen. Als Vergleich: Ein Paar mit 130.000 Euro Jahreseinkommen wird alleine bei der kalten Progression jährlich mit 958 Euro entlastet, Rentnerinnen und Studierende lediglich mit 300 Euro beziehungsweise 200 Euro.«

Fratzscher erwartet, dass die Bundesregierung, entgegen aller Versprechen, die Schuldenbremse 2023 nicht einhalten können werde und erwartet, »dass die Bundesregierung noch vor Ende des Jahres die Schuldenbremse für 2023 kippen und Farbe bekennen muss«. Auch Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte das Festhalten an der umstrittenen Kreditregel, es könne nicht sein, dass diese wichtiger sei als sozialer Friede im Land. Zwar habe die Ampel mit den neuen Maßnahmen auch auf den Druck der Öffentlichkeit und der Linken reagiert und gravierende Fehler der ersten Entlastungspakete korrigiert. »Aber das Unzureichende und Unkonkrete überwiegen. Unterm Strich erfüllt das dritte Entlastungspaket die Erwartungen nicht ausreichend.« Die Ampel solle wirksamere Schritte gehen, »um zu verhindern, dass vor allem Menschen mit geringem Einkommen dauerhaft an Kaufkraft und Lebensstandard verlieren«.

LINKEN-Chef Martin Schirdewan beklagte, die angekündigten Einmalzahlungen würden »verpuffen« und das Bürgergeld »nicht gegen Armut« helfen. Kritik äußerte er auch daran, dass die umstrittene Gasumlage bestehen bleibe. Die Überlegungen für eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket seien »ein Witz«. Auch der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, nannte die Beschlüsse der Koalition »vielfach enttäuschend«. Die Maßnahmen seien »ein Paket, was die Zukunft der Ampel zu sichern versucht, den am härtesten betroffenen Bürgerinnen und Bürgern aber zu wenig hilft«. So sei etwa die Anhebung des Kindergelds zum Jahr 2023 »kein großer Wurf gegen Kinderarmut«. (aus Susannes Büros)