Aufgelesen: Ungleichheit, Vermögensteuer, Gleichheit

Wer soll eigentlich dieses »Wir« sein, von dem in der Energiekrise immer die Rede ist? Eine Studie zeigt, wie viele Menschen hierzulande der Meinung sind, es gehe nicht gerecht zu, etwa bei der Verteilung von Vermögen. Auch für politische Beobachter liegt hier der »Kern des Ungleichheitsproblems«. Eine Vermögensteuer wird von mehr als drei Viertel der Bevölkerung unterstützt. Das hat nichts mit »Neid« zu tun, sondern es geht um ein Fundament unseres Vermögens und Bedürfnisses, zusammen zu leben: um Gleichheit. 

Die Mehrheit der Bevölkerung hierzulande »hat das Gefühl, es gehe im Land nicht gerecht zu – weder bei der Verteilung von Gütern und Vermögen noch zwischen den Generationen«. Das ist das Ergebnis einer größeren Studie, für die Ende vergangenen Jahres die Bertelsmann Stiftung und das Münchner IFO-Institut fast 5.000 Menschen befragten. 

Die Fragen umfassten ein breites Spektrum von Aspekten rund um Verteilungsgerechtigkeit in der Gesellschaft, verschiedene Dimensionen von Gerechtigkeitsempfinden sowie Einstellungen dazu, ob Menschen bereit wären, mehr Steuern zu zahlen, wenn Ärmere dafür mehr Hilfen vom Staat bekommen könnten.

Ein paar Zahlen: Nur 14 Prozent empfinden, die sozialen Unterschiede in unserem Land im Großen und Ganzen als gerecht. Nur knapp 17 Prozent meinen: Der Wohlstand ist allgemein gerecht verteilt. Nur gut 9 Prozent sind der Auffassung, die wirtschaftlichen Gewinne würden heutzutage in der Bundesrepublik im Großen und Ganzen gerecht verteilt. Und über 75 Prozent sagen, der Staat solle für eine Verringerung des Unterschieds zwischen Arm und Reich sorgen. Mehr als drei Viertel fordern eine Vermögensteuer. 

Viele weitere interessante Ergebnisse, etwa zu Differenzen im Gerechtigkeitsempfinden, über unterschiedlich populäre Verteilungsprinzipien, dem wahrgenommenen Einfluss auf Reichtum durch das, was als Leistung gilt und mehr finden sich hier.

In der Berichterstattung über die Studie wurde der Tatsache Aufmerksamkeit geschenkt, dass bei der Frage, ob man bereit wäre, mehr Steuern zu zahlen, wenn ärmere Menschen dafür mehr Unterstützung vom Staat bekommen, die Zustimmung zusammen auf ein gutes Drittel schrumpfen würden. Je höher das eigene Einkommen, desto geringer  auch Bereitschaft, über höhere Steuern etwas gegen die Ungleichheit im Land zu tun. »Menschen, die mindestens 3.000 Euro im Monat zur Verfügung haben, lehnen dies deutlich häufiger ab als Geringverdiener mit höchstens 1.000 Euro Gehaltseingang«, so die »Süddeutsche Zeitung«.

In eben dieser Zeitung ist man der Frage nachgegangen, ob eine Art Doppelzüngigkeit vorliegt, wenn viele den ungerecht verteilten Wohlstand beklagen »und die Einführung einer Vermögensteuer fordern, zugleich aber mit großer Mehrheit zu verstehen geben, dass man sie selbst bitteschön von jedweder Steuererhöhung verschonen möge?« 

Nein, so die Zeitung. Denn die »scheinbar so widersprüchlichen Antworten« hätten »etwas getan, was die Politik seit Jahren nicht schafft: Sie haben den Kern des Ungleichheitsproblems freigelegt«: »Viel dramatischer als die Einkommensungleichheit nämlich ist etwas anderes: die Vermögensungleichheit.« 

Die Zahlen dazu sind eigentlich hinlänglich bekannt. Vor Corona betrug das mittlere Nettovermögen eines Haushalts in der Bundesrepublik gut 70.000 Euro, Mieterinnen und Mieter kamen im Schnitt auf rund 10.000 Euro. Wie gesagt: Das sind Durchschnittswerte. Das reichste Tausendstel der Gesellschaft hingegen hatte »im Mittel 35 Millionen Euro zur Verfügung – 3.500 Mal so viel«.

Hier also müsste der Hebel angesetzt werden, nicht nur um Ressourcen zur Finanzierung sozialer Hilfen in der Energiepreiskrise sowie zum klimagerechten Umbau verfügbar zu machen. Sondern auch aus Gründen von Gerechtigkeit und vor allem Gleichheit. 

Letztere, schreibt César Rendueles in seinem in diesem Monat erscheinenden »egalitaristischen Pamphlet«, ist »nicht in erster Linie die Voraussetzung für irgendetwas anderes – für persönlichen Erfolg, Rechtsstaatlichkeit etc. –, sondern ein Ziel an sich, weil sie eine der Grundlagen unseres gemeinsamen Lebens darstellt«. Gleichheit gehöre »zu den biologischen und kulturellen Fundamenten der menschlichen Soziabilität, unseres Vermögens und Bedürfnisses, zusammen zu leben«. 

Die allgemeine Ungleichheit unserer Gesellschaften, so Rendueles, sei »ein kollektives Trauma, ein gesellschaftlicher Riss, der sich auf unsere Fähigkeit auswirkt, Beziehungen zu anderen zu knüpfen, und der erschreckende politische und persönliche Folgen hat.« Materielle Gleichheit, so die Schlussfolgerung, sollte daher eine wichtigere Rolle »in politischen Projekten der Gegenwart« spielen.

Natürlich wäre eine Vermögensteuer nur ein Beitrag, den Zug in diese Richtung rollen zu lassen. »Es geht dabei nicht um Neid«, schreibt die »Süddeutsche«. Wer eine Vermögensteuer »aus ideologischen, Kosten- oder sonstigen Gründen nicht will, darf gerne auch über Alternativen nachdenken – eine deutlich höhere Grundsteuer für Luxusimmobilien etwa, eine höhere Kapitalertragsteuer oder eine Vermögenszuwachssteuer, wie sie US-Präsident Joe Biden vorgeschlagen hat.« 

Übrigens: In ihren Wahlprogrammen hatten SPD und Grüne die Forderung nach einer Wiedererhebung der Vermögensteuer noch aufgestellt. Die LINKE ist ebenso dafür wie der Gewerkschaftsdachverband DGB. Dass ein solches Projekt vor allem von der FDP blockiert wird, ist nahliegend. Aber, so nochmal die Zeitung: »sich der Diskussion völlig verschließen, das kann künftig keiner mehr, nicht einmal die FDP.«

(In der Reihe »Aufgelesen« blicken wir in Zeitungen und Zeitschriften sowie auf aktuelle Studien und Bücher. Zusammenstellung: aus Susannes Büros)