Stichwort: Vermögensabgabe

Vor 70 Jahren trat das Gesetz über den Lastenausgleich in Kraft: Über Sondersteuern wurden Milliarden aus großen Vermögen umverteilt. Angesichts der Corona-Kosten und der Belastungen infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine ist der Ruf nach einer einmaligen Vermögensabgabe auch jetzt wieder lauter geworden. Ein Überblick.

Vor 70 Jahren, am 1. September 1952, trat das Gesetz zum sogenannten Lastenausgleich in Kraft. »Nach heutigem Geldwert wurden 60 Milliarden Euro aus Vermögens-, Hypotheken- und Kreditgewinnabgaben eingezogen und an Millionen Mittellose ausgezahlt«, heißt es in einem aktuellen Rückblick des Evangelischen Presse-Dienstes. »Fast drei Millionen betuchte Bürger zahlten in den Ausgleichsfonds ein. Sie hatten die Hälfte ihres Vermögens abzutreten, gestreckt auf 30 Jahre in vierteljährlichen Tranchen von rund 0,4 Prozent.« 

In dem Rückblick wird auch der Bogen bis in die heutige Zeit geschlagen: »Experten sprechen von gelebter Solidarität. Auch heutzutage wird wieder über Umverteilung debattiert.« Und in diesen Diskussionen spielt eine einmalige Vermögensabgabe durchaus wieder eine Rolle. So forderte etwa die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi im April dieses Jahres einen Lastenausgleich ähnlich dem von 1952. »Aufgrund der Corona-Pandemie und infolge des russischen Krieges stehen manche am Rande ihrer Existenz, während andere ihr Einkommen und ihr Vermögen in der Krise noch deutlich steigern konnten«, sagte Anfang August auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und plädierte »für einen gerechten Ausgleich« in Form einer Vermögensabgabe. Die Parlamentarische Linke der SPD-Bundestagsfraktion erhob die Forderung, dass Multimillionäre durch eine einmalige Abgabe ihren Beitrag zur aktuellen Krisenbewältigung leisten, Anfang August 2022. 

Vor dem Hintergrund der Corona-Krise hatte die LINKE die Idee einer einmaligen Vermögensabgabe bereits 2020 wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Ein solcher Lastenausgleich sei »klar geboten und ein maßvoller Schritt zu mehr Verteilungs- und Steuergerechtigkeit«, sagte zum Beispiel die damalige Bundestagsabgeordnete Doris Achelwilm. »Eine Umkehr bei Verteilung von Lasten und Verantwortung ist nötig. Die Einschläge der Finanzkrise 2008 wurden nach unten durchgereicht, aktuell bleiben Überbrückungshilfen gerade bei geringeren Einkommen aus, diese Ökonomie der Ungleichheit geht so nicht weiter.«

Im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung untersuchte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW schon damals das mögliche Aufkommen und die Verteilungswirkungen eines linken Vorschlags für eine neue Vermögensabgabe. »Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist erheblich. Das reichste Prozent der Bevölkerung, das bei einem persönlichen Nettovermögen von 1,8 Millionen Euro beginnt, besitzt 32 Prozent des gesamten Vermögens. Die reichsten 0,1 Prozent, die ab einem persönlichen Nettovermögen von 8,7 Millionen Euro beginnen, besitzen 16 Prozent des gesamten Vermögens. Daher kann eine Vermögensabgabe auch bei hohen Freibeträgen ein beträchtliches Aufkommen erzielen«, so der DIW-Steuerexperte Stefan Bach in seiner Studie.

»Wer in dieser Situation nicht bereit ist, die Superreichen zur Finanzierung der aktuellen Krise heranzuziehen, hat die prekäre Lage vieler Familien, Rentner, Studentinnen nicht im Blick«, so formulierte es Linksfraktionschef Dietmar Bartsch im April 2022, als die Forderung nach einer Vermögensabgabe erneut auf den Tisch kam. Das von der LINKEN favorisierte Modell würde die oberen 0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mit einem privaten Nettovermögen (Vermögen abzüglich Verbindlichkeiten) von zwei Millionen Euro bzw. fünf Millionen Euro bei Betriebsvermögen mit einer einmaligen Abgabe belasten.

Damit könnten langfristig rund 310 Milliarden Euro eingenommen werden, um Armut zu bekämpfen und in eine gute Zukunft für alle zu investieren. Die LINKE hat in einem FAQ aufkommende Fragen zu einer Vermögensabgabe beantwortet. Dabei geht es unter anderem um Freibeträge und die Frage, welche Auswirkungen eine solche Abgabe für kleinere und mittlere Unternehmen hätte.

Man findet dort auch eine kleine Geschichte der Forderung nach einer Vermögensabgabe, denn die wurde nicht nur vor 1952 und in den letzten drei Jahren erhoben. Schon nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 forderten Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände sowie die LINKE und die Grünen. die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe, um die enorm hohe Verschuldung, die zur Krisenbewältigung nötig war, sozial gerecht zu verteilen. Es gab sogar Initiativen vermögender Privatpersonen, die nach der Finanzkrise eine Vermögensabgabe forderten. Der DGB forderte im Zuge der Euro-Krise eine europaweite Vermögensabgabe. Und die IG Metall erhob zuletzt Anfang 2020 im Kontext notwendiger Investitionen zur Bewältigung des Klimawandels diese Forderung.

Was die Verfassungsmäßigkeit einer Vermögensabgabe angeht, gehen die Meinungen auseinander. »Dadurch, dass die Vermögensabgabe im Grundgesetz in Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 ausdrücklich normiert wurde, ist sie grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Dennoch stellt sich die Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen sie erhoben werden kann. Hierzu gibt es in der Literatur wenige Stellungnahmen, die teilweise voneinander abweichende Voraussetzungen aufstellen«, heißt es zum Beispiel in einer Ausarbeitung der Wissenschaftliche Dienste des Bundestags aus dem Jahr 2020. Im Frühjahr 2021 stellte sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen auch auf eine ablehnende Position.

»Einige Verfassungsrechtler seien zwar der Ansicht, dass solche Abgaben nur in Notlagen wie der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zulässig sind«, hieß es schon 2012 bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Doch der Jura-Professor Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der damals für die Stiftung und die Gewerkschaft ver.di untersuchte, ob der deutsche Staat eine einmalige Vermögensabgabe überhaupt erheben dürfte, kam in seinem Gutachten zu dem Fazit: Das Grundgesetz steht dem nicht im Weg.

Zu Beginn der Corona-Krise befand auch der Historiker Heinrich August Winkler im »Tagesspiegel«, dass die Bundesrepublik »um eine Umverteilung großen Stils nicht herumkommen« werde, also um einen »Lastenausgleich zwischen denen, die unter den materiellen Folgen dieser Krise weniger zu leiden haben als die, deren berufliche Existenz auf dem Spiel steht«. Die »Dimensionen dieser Umverteilung werden die des historischen Lastenausgleichs«, sagte Winkler seinerzeit, »weit übertreffen«. 

Gut ein Jahr später, im April 2021, brachte die Linksfraktion im Bundestag einen Antrag ein, mit dem die Bundesregierung – vergebens – aufgefordert wurde, einen Gesetzentwurf für eine Vermögensabgabe  zur gerechten Finanzierung der Kosten der Corona-Krise vorzulegen. Für die LINKE sagte bei der Beratung des Antrags im Mai 2021 der Abgeordnete Fabio de Masi, »jede Partei hat die Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung zu sagen, wer die Kosten der Krise trägt«. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitze ein Drittel des Nettovermögens, die Hälfte der Bevölkerung besitze unter dem Strich nichts. 

Ein paar Monate zuvor war in einer Umfrage gefragt worden, »sollte der Bund eine einmalige Vermögensabgabe auf große Privatvermögen zur Finanzierung der Corona-Pandemie erheben?« Über 56 Prozent sprachen sich dafür aus, nur 33 Prozent dagegen. (aus Susannes Büros)