»Reicher als gedacht«, extrem ungleich verteilt

FDP-Chef Lindner behauptet gern, dass wegen Energiekrise und Preissteigerungen »wir alle ärmer werden«. Wir alle? Neue Studien zeigen, dass das Vermögen hierzulande deutlich größer ist als bisher angesetzt. Reicher geworden ist aber vor allem die wohlhabende Hälfte der Bevölkerung. Wie eine einmalige Vermögensabgabe die Schere zwischen ganz oben und einem Großteil der Bevölkerung verringern kann, hat sich 1952 gezeigt.

Die Bundesbank hat einen neuen vorläufigen Datensatz vorgestellt, mit dem sich die Entwicklung der Vermögen und Verschuldung der privaten Haushalte in der Bundesrepublik untersuchen lässt. Ergebnis: Die obersten 10 Prozent, also die reichsten Haushalte, verfügten über mehr als 50 Prozent des gesamten Nettovermögens. Auf die Hälfte der Bevölkerung entfielen dagegen nur durchschnittlich 0,6 Prozent. »Ein äußerst geringer Anteil«, schreibt die Bundesbank. 

Die Vermögensungleichheit hat sich dabei zwischen 2009 und 2021 in einem sehr kleinen Maßstab verringert, »bleibt aber insgesamt hoch«, wie es bei der Bundesbank heißt. Konkret: Der Anteil, den die Superreichen 1 Prozent am Gesamtvermögen hielten, sank von 29 auf 27,8 Prozent; der Anteil der »unteren Hälfte« wuchs in dem Zeitraum von 0,2 Prozent auf 1,2 Prozent. Klartext: Die Hälfte der Bevölkerung besetzt immer noch gerade einmal gut ein Prozent des gesamten Vermögens. 

Ein Forschungsteams von der Humboldt-Uni, der Universität Bonn und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer anderen Studie die längerfristige Entwicklung des Vermögens in Deutschland in den Blick genommen. Ein Ergebnis lautet, »dass bei korrekter Berechnung das Haushaltsvermögen in Deutschland deutlich höher liegen dürfte als bisher angenommen«, so schreiben es die Forscherinnen und Forscher in einer Zusammenfassung in der FAZ. »Wenn man die Betriebsvermögen nach internationalen Standards bemisst und zudem für die Immobilienpreise die aktuelleren Zahlen der Bundesbank verwendet, dann ist Deutschland gut 4.000 Milliarden Euro reicher als gedacht.«

Die Frage auch hier: Wer genau ist Deutschland? Laut der Studie beträgt das Vermögen deutscher Haushalte im Durchschnitt rund 420 .000 Euro. Davon sehen die meisten Menschen freilich nichts, wenn sie ihre Kontoauszüge durchgehen. Enorm sei »die wachsende Lücke zwischen Vermögen der oberen Hälfte der Gesellschaft, wo der Wert von Aktien- und Immobilienvermögen in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen ist, und der unteren Hälfte, wo die Vermögen in den letzten 40 Jahren stagnierten.« 

In der Studie von Thilo Albers, Charlotte Bartels und Moritz Schularick ist die erste umfassende Untersuchung des Vermögens und seiner Verteilung in Deutschland seit dem 19. Jahrhunderts. Anhand von Steuer- und Archivdaten, Haushaltsbefragungen, historische volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen und Vermögenslisten wird die Entwicklung der deutschen Vermögensverteilung auf lange Sicht analysiert. Dabei zeigt sich, dass der Anteil der reichsten 1 Prozent am gesamten Vermögen von fast 50 Prozent im Jahr 1895 auf heute 27 Prozent gesunken ist. Dabei wirkte die Vermögensbesteuerung nach dem Zweiten Weltkrieg als einer der »großen Gleichmacher«. 

Allein der Lastenausgleich, eine einmalige Abgabe von 50 Prozent auf das Nettovermögen von Unternehmen und Haushalten, die 1952 festgelegt wurde, erkläre etwa ein Drittel der Abnahme der Vermögenskonzentration an der Spitze, so das Forschungsteam. »Diese einmalige Vermögenssteuer konnte quartalsweise mit Verzinsung bis 1979 abbezahlt und insofern aus den Renditen auf das existierende Vermögen bezahlt werden. Mit den Einnahmen aus dem Lastenausgleich wurden Haushalte (zumindest teilweise) entschädigt, die ihr Vermögen im Krieg verloren hatten.«

Eine einmalige Vermögensabgabe gehört auch heute zu den Vorschlägen, wie auf die Folgen von Krisen sozial ausgleichend reagiert werden kann. Die LINKE fordert schon länger »eine Vermögensabgabe, die die oberen 0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mit einem privaten Nettovermögen (Vermögen abzüglich Verbindlichkeiten) von zwei Millionen Euro bzw. fünf Millionen Euro bei Betriebsvermögen mit einer einmaligen Abgabe belasten. Damit könnten langfristig rund 310 Milliarden Euro eingenommen werden, um Armut zu bekämpfen und in eine gute Zukunft für alle zu investieren.« 

Unlängst haben sich auch SPD-Linke für ein ähnliches Modell ausgesprochen; dabei würden die vermögendsten 0,4 bis 0,5 Prozent der deutschen Bevölkerung mit einer einmaligen Abgabe zu gesellschaftlichen Investitionen und sozialen Entlastungen herangezogen. Ähnlich sieht es die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, die zum Ausgleich der steigenden Energiekosten einen Preisdeckel vorschlägt, der unter anderem mit einer einmaligen Vermögensabgabe gegenfinanziert wird. Sie halte dies angesichts der Dimension der Krise für angemessen. Auch die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hält eine temporäre Vermögensabgabe für denkbar(aus Susannes Büros)