»Das geht an die Existenz der Menschen«

Die Preise für Lebensmittel, Energie und vieles andere steigen weiter. Strom, Heizen, Nahverkehr und mehr sollten aber für alle bezahlbar sein. Wie das ginge? Mit wirksamen und gezielten Entlastungen, mit einem Preisdeckel und der Besteuerung von Übergewinnen. Die LINKE hat dazu einen Aufruf gestartet. Auch Expertinnen und Experten drängen auf schelle und umfangreiche Maßnahmen.

An Warnungen und Mahnungen, endlich wirksam gegen die Energiepreiskrise vorzugehen, mangelt es wahrlich nicht. Der Sozialmediziner Gerhard Trabert, der Kandidat der LINKEN bei der Bundespräsidentenwahl war, hat heute in der »Süddeutschen Zeitung« noch einmal auf die Sorgen der von Armut besonders Betroffenen hingewiesen: »Die Menschen werden in diesem Winter kränker werden. Aufgrund der steigenden Kosten werden sich manche entscheiden müssen: Friere ich und esse genug? Oder friere ich nicht und verzichte auf Essen? Das geht an die Existenz der Menschen, auch an die psychische.« 

Trabert, der sich beruflich und ehrenamtlich um die Bekämpfung von Armut und deren gesundheitliche Folgen einsetzt, kritisiert die bisherigen Maßnahmen der Ampel-Regierung. »Das reicht bei Weitem nicht. Die 200 Euro, die Hartz-IV-Empfänger einmalig bekommen haben, gleichen nicht einmal die Inflation aus. Von den etwa fünf Euro, die der Hartz-IV-Satz für tägliche Lebensmittel enthält, kann sich niemand gesund ernähren.« Mit seiner Forderung, jetzt schnell und vor allem den besonders von Armut Gefährdeten oder davon Betroffenen zielgerichtet zu helfen, steht er nicht allein: »Der Hartz-IV-Satz müsste so schnell wie möglich um 200 Euro monatlich angehoben werden. Es müsste Hilfen für Schulmaterial geben, Studierende müssen finanziell unterstützt werden. Mieten müssen gedeckelt und die Menschen vor Räumungsklagen geschützt werden. Altersarmut muss verhindert werden.«

Dass die Bundesregierung, vor allem FDP-Finanzminister Christian Lindner, sich mit dem Argument herausredet, der Staat könne das nicht alles bezahlen, nennt Trabert »Nonsens. Es ist genug Geld da, und außerdem gibt es Instrumente wie die Übergewinn-, die Vermögen- und die Erbschaftsteuer. Viele andere Länder nutzen sie.« Ähnlich hat dieser Tage der Journalist Stefan Reinecke in der »Tageszeitung« argumentiert. »Die Kluft zwischen Arm und Reich ist beim Vermögen in Deutschland extremer als in anderen EU-Ländern. Die reichsten 0,1 Prozent besitzen fast doppelt so viel wie die ärmere Hälfte der Deutschen. Alles spricht dafür, Superreiche und Konzerne, die vom Krieg profitieren, zur Kasse zu bitten.« Und auch Reinecke weist darauf hin, dass »selbst konservativ regierte Staaten wie Griechenland und Großbritannien« Exraprofite abschöpfen. 

Oder die Schuldenbremse. Viele Expertinnen und Experten widersprechen der Linie von Lindner, der auf dieser Zukunftsbremse besteht. In der »Tageszeitung« sagte der Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: »Das ärgert mich. Der Bundesfinanzminister sagt, die Schuldenbremse ist 2023 gesetzt. Zugleich will er 10 Milliarden Euro für den Ausgleich der kalten Progression ausgeben, wovon 70 Prozent den oberen Einkommensgruppen zugutekommt, während die unteren 40 Prozent so gut wie nichts bekommen. 10 Milliarden Euro so auszugeben, anstelle des Ziels, Entlastung genau an Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zu geben, ist ökonomisch wie sozial unsinnig und schädlich. Denn die Konsumeffekte sind massiv. Mit jedem Euro mehr für Energie können Menschen mit geringen und mittleren Einkommen weniger beim Friseur oder im Supermarkt ausgeben.«

Es sei grundsätzlich »nicht mit einer Sozialen Marktwirtschaft vereinbar«, Verbraucherinnen und Verbraucher »für die übermäßigen Verluste der Energiekonzerne haften zu lassen, deren übermäßige (leistungslosen) Gewinne nicht zusätzlich zu besteuern, nach dem Prinzip: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren«, so Fratzscher.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, hat in einem Brief an das Kanzleramt unter anderem gefordert, die Gasumlage in der jetzigen Form zu stoppen und »fraktionsübergreifend Möglichkeiten einer Beteiligung von Konzernen und Superreichen an den Krisenkosten, wie einer Übergewinnsteuer oder einer Vermögensabgabe«, zu entwickeln. Eine Abkehr von der Schuldenbremse sowie ein »Sondervermögen Zukunft« seien ebenso nötig – »nach etlichen Milliardenprogrammen zur Rettung von Konzernen ist es höchste Zeit, mit einem Milliardenprogramm unsere Gesellschaft zu retten, sonst werden wir sie in wenigen Jahren nicht wiedererkennen«, so Korte.

Auch der Sozialverband VdK drängt schon lange vehement auf Hilfen für diejenigen, die bisher gar nicht oder unzureichend berücksichtigt wurden. »Diesmal muss wirklich eine substantielle Entlastung für Rentnerinnen und Rentnern in dem Paket enthalten sein. Diese sollte so schnell wie möglich kommen und nicht erst Anfang nächsten Jahres«, forderte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie nannte es außerdem »extrem bedauerlich, dass der Bundeskanzler auf die Forderung nach einem Sozialgipfel bislang nicht eingegangen ist«. 

Die Vorsitzende der LINKEN, Janine Wissler, präsentierte unterdessen die Kampagne »Menschen entlasten. Preise deckeln. Übergewinne besteuern«. Strom, Heizen, Lebensmittel, Bus und Bahn müssten für alle bezahlbar sein, heißt es darin, von der Bundesregierung wird gefordert, dafür sorgen, dass die Entlastung von den Preissteigerungen sozial gerecht ist und Ungleichheit zurückdrängt.

Konkret setze sich die LINKE für einen sozialen Klimabonus von 125 Euro im Monat für jeden Haushalt bis zum mittleren Einkommen (plus 50 Euro für jede weitere Person im Haushalt) ein. Extragewinne der Konzerne in der Krise sollten extra besteuert werden und eine einmalige Vermögensabgabe eingeführt werden. Außerdem seien schnelle und weitreichende Schritte für eine gerechte Klima- und Verkehrswende nötig. In diesem Zusammenhang setzt sich die LINKE auch für die Verlängerung des 9-Euro-Tickets ein. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) teilte am Montag mit: »Drei Monate 9-Euro-Ticket haben etwa so viel CO2 eingespart wie ein Jahr Tempolimit auf Autobahnen bringen würde.« Das 9-Euro-Ticket habe nicht nur die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet, sondern auch eine eindeutig positive Wirkung fürs Klima.

Außerdem sollten nach dem Willen der LINKEN Preise für Strom und Gas staatlich geregelt werden: Alle Haushalte bekommen einen Sockelbetrag für Strom und Gas. Grundverbrauch wird preiswerter, Vielverbrauch wird teurer. Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, sagte im Fernsehsender Phoenix: »Wenn man darüber hinaus noch seinen Swimming Pool beheizen möchte, kann man dafür auch entsprechend mehr Geld bezahlen, damit da nichts unnötig verschwendet wird. Aber der Grundbedarf muss für alle bezahlbar sein.« (aus Susannes Büros)