Aufgelesen: »Wir stehen am Scheideweg«

Ein neuer Bericht an den Club of Rome fordert radikales Umsteuern in der Wirtschafts- und Klimapolitik und pocht darauf: Ohne Umverteilung des Reichtums weniger wird es keine Zukunft für alle geben. Kurswechsel sind nicht nur nötig, sondern auch möglich, meint die Transformationsforscherin Maja Göpel und macht Mut zum Anpacken: »Die Welt verändern zu können, ist die Essenz von Freiheit.« Über zwei Bücher, die dieser Tage erscheinen.

Die Klimakrise beschleunigt sich, Kipppunkte werden erreicht – und dann? Unlängst hatten wir in unserer »Aufgelesen«-Rubrik neue Veröffentlichungen vorgestellt, die ein drastisches Bild zeichnen: Durch Umweltverschmutzung und Ressourcenausbeutung ist bereits derart viel zerstört worden, dass existenzielle Gefahren für die menschliche Zivilisation immer näher rücken. Hinzu kommt, dass globale Ungleichheit, Armut, kapitalistische Ausbeutung, regionale Krisen und weltumspannende Konflikte die Möglichkeiten mindern, das Ruder herumzureißen. Also alles hoffnungslos?

Keineswegs. Der berühmte Club of Rome, ein Zusammenschluss von Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen, legt dieser Tage »Ein Überlebensprogramm für den Planeten« vor: Fünf radikale Kehrtwenden, mit der Armut, Ungleichheit, Ernährungsfragen, Energiewende und die Ermächtigung von Frauen vorangetrieben werden können, mit dem Ziel, die Erderhitzung unterhalb der Zwei-Grad-Marke zu stabilisieren. Es geht um die Förderung lokaler Lebensmittelproduktion, die Reduzierung von Verschwendung, die Ablösung fossiler Energieträger und ebenso rasche wie drastische Schritte der Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen. 

Ein Dreh- und Angelpunkt der Vorschlage der Forscherinnen und Forscher ist die Umverteilung des gesellschaftlich produzierten, aber privat in den Händen weniger angeeigneten Reichtums. »Die Umverteilung des Wohlstands ist nicht verhandelbar«, heißt es im schon bekannten ersten Kapitel des neuen Berichts an den Club of Rome. Ungleichheit führe zu sozialer Polarisierung und politischen Spannungen, diese wiederum trügen »zu inadäquaten Antworten auf den klimatischen und ökologischen Notstand bei« – und muss deshalb integraler Bestandteil aller globalen Rettungsbemühungen sein. Oder, wie es Jorgen Randers, einer der Autoren, in der »Tagesschau« formuliert: »Wir werden die Welt nicht retten, wenn nicht die reichsten zehn Prozent die Rechnung bezahlen.« Und weiter: »Wir stehen am Scheideweg.«

Die Regierungen müssten »endlich aufwachen«, heißt es in dem Bericht weiter. »Schließlich ist es die oberste Aufgabe eines Staates, seine Bürgerinnen und Bürger vor Schaden zu bewahren. In diesem instabilen Jahrhundert gilt es, in Systemen zu denken, global zu handeln und künftige Generationen zu schützen.« Die dafür vorgeschlagenen »außerordentlichen Kehrtwenden sind als politische Fahrpläne konzipiert, die absolut mehrheitsfähig wären. Sie sind kein Versuch, eine unmöglich realisierbare Utopie zu schaffen. Sie bilden die unverzichtbare Grundlage für eine resilientere Zivilisation, die aktuell unter außerordentlichem Druck steht. Mehr noch: Es sind genügend Wissen, Geld und Technologien vorhanden, um diese Kehrtwenden zu realisieren. Dabei sind diese fünf Kehrtwenden nichts absolut Neues.« Sie könnten, zeigen die Forscherinnen und Forscher auf, »bis 2050, also innerhalb einer einzigen Generation, erreicht werden. Aber wir müssen jetzt sofort handeln«.

Ihre »letzte Schlussfolgerung lautet«, heißt es in dem neuen Bericht an den Club of Rome, »dass es trotz dieser Warnungen möglich, wünschenswert und sogar unerlässlich ist, optimistisch in unsere kollektive Zukunft zu blicken. Unsere Analyse zeigt, dass wir es auf jeden Fall schaffen können.« Solcherart Optimismus mag angesichts der aktuellen Nachrichtenlage irritierend erscheinen; aber in der von Krisen und Konflikten dominierten Öffentlichkeit geraten oft die vernünftigen Entwicklungen, die positiven Beispiele aus dem Blick. Die Transformationsforscherin Maja Göpel verweist auf all die »Städte und Kommunen, die die Mobilität neu denken, auch bei Bauern und Investoren hat die Frage nach zukunftsfähigen Geschäftsmodellen große Bedeutung und in den 25 Jahren, die ich überblicken kann, ist noch nie so intensiv über Klimaschutz diskutiert worden wie heute«, so Göpel dieser Tage im »Spiegel«. 

Auch sie legt dieser Tage ein neues Buch vor: »Wir können auch anders«. Auf der Ebene der Politik und der Regierungen sollten klare Ziele benannt werden, »wo wir langfristig hinwollen, was das bedeutet und regelmäßig Bestandsaufnahmen machen, wie viel des Weges wir schon geschafft haben und wie wir nachbessern können. Das richtet sich vor allem an die Politik. Sie sollte Rechenschaft auf diese Zielerreichung ablegen. Weder die ökonomische Unwägbarkeit, noch die ökologische Krise werden wir ohne mutige, langfristig angelegte politische Gestaltung in den Griff bekommen«, so Göpel. Aber auch der Einzelne spielt für sie in der Veränderung eine wichtige Rolle: Es sei »erst der soziale Wandel im Kleinen den Wandel im Großen vorantreibt«, jede und jeder solle »versuchen, jeweils den einen Schritt zu gehen, der den Beteiligten gerade möglich erscheint. In der Summe kann genau das zu einer Welle werden und Mehrheiten in Demokratien verändern.«

Das Buch, das am 1. September erscheint, geht drei Frage-Komplexen nach, wie man im schon bekannten Vorwort lesen kann, das neugierig auf mehr macht. Erstens: »Wie können wir in der komplexen Welt, in der wir heute leben, Dinge wenden? Und wie kann uns die Forschung dabei helfen, Lösungen für das 21. Jahrhundert zu entwickeln?« Zweitens: »Wo müssen wir ansetzen, um die Strukturen unserer Gegenwart so zu verändern, dass sie der Erreichung unserer Ziele besser dienen, statt ihnen im Weg zu stehen?« Und drittens »Wer kann diese Veränderungen anschieben? Die Politik? Die Wirtschaft? Die sogenannten Eliten? Wer ist mit diesem Wir gemeint, von dem alle reden, wenn es darum geht, etwas zu verändern?«

Göpel pocht auf den Aspekt der Hoffnung, das Vorwort beginnt mit einem Zitat der Schriftstellerin Rebecca Solni: »Hoffnung ist eine Umarmung des Unbekannten und des Unwissbaren, eine Alternative zur Gewissheit der Optimisten und Pessimisten.« Dabei geht es ihr nicht darum, Schönzureden oder radikales Umsteuern als bloße Angelegenheit privater Neigungen und Verhaltensweisen zu skizzieren. Es ist eine Sprache des Mutmachens in Zeiten, die mutlos machen können – und ein Appell, die Veränderung nicht nur vom Standpunkt dessen zu betrachten, was überwunden und zurückgelassen werden muss; sondern aus dem Blickwinkel, was erreichbar und zu gewinnen ist. 

»Eine Große Transformation zu einer besseren Welt für alle ist das größte Abenteuer der Menschheit. Sie wird aus lauter kleinen Schritten bestehen – aber ohne eine klare Orientierung und die unermüdliche Begeisterung für das Mögliche wird sie nicht gelingen«, schreibt Göpel, passend zu dem oben angesprochenen »Überlebensprogramm für den Planeten«. Die Welt verändern zu können, sei »die Essenz von Freiheit«, sagte sie dem »Spiegel«. Und im Vorwort zu ihrem Buch weist sie darauf hin, wie weit Veränderung gehen muss: Das »wahre Kriterium der Reform«, zitiert sie den Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm, sei »ihr Realismus, ihr echter ›Radikalismus‹. Es geht darum, ob sie an die Wurzeln geht und die Ursachen zu ändern versucht – oder ob sie an der Oberfläche bleibt und sich nur mit den Symptomen befasst.«

(In der Reihe »Aufgelesen« blicken wir in Zeitungen und Zeitschriften sowie auf aktuelle Studien und Bücher. Zusammenstellung: aus Susannes Büros)

  • Club of Rome (Hrsg.): Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach »Die Grenzen des Wachstums«, Oekom Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.
  • Maja Göpel: Wir können auch anders. Aufbruch in die Welt von morgen, Ullstein Verlag, 368 Seiten, 19,90 Euro.