Erste Schritte, weiter Weg
Die LINKE muss sich veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen und für sie verständliche politische Antworten entwickeln. So lautete eine Erwartung an den Bundesparteitag Ende Juni. In Erfurt hat die LINKE einen neuen Vorstand gewählt, eine Reihe von politischen Beschlüssen gefasst und natürlich viel diskutiert. Wie werden die Ergebnisse bewertet, was wurde beschlossen? Ein kleiner Überblick.
Er sei, was die Ergebnisse des Bundesparteitags angeht, twitterte Berlins Kultursenator Klaus Lederer am Abend des Abschlusstages, »gedämpft optimistisch. Aber das kann bestenfalls ein Anfang gewesen sein. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir bei uns selbst beginnen.« Eine ähnliche Bilanz nach dem Erfurter Delegiertentreffen zieht Mario Candeias von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Es brauche die LINKE »als Partei, die praktisch und konkret für sozial-ökologische Verbesserung im hier und jetzt arbeitet«, für Veränderungen, »die so angelegt sind, dass sie eine – sozialistische – Alternative« offenhalten. »Aber diese Rollen kann sie nur ausfüllen, wenn sie ihre inneren Probleme löst. Der Parteitag in Erfurt hat dafür einige Schritte eingeleitet«, so Candeias. »Dennoch steht ein beschwerlicher Weg bevor.«
Skeptischer, um auch für diese Sichtweise auf den Bundesparteitag ein Beispiel zu geben, lautet das Urteil im »Jacobin«-Magazin: Von Aufbruch, heißt es da, könne »keine Rede sein, dafür sind die Gräben zwischen wichtigen inhaltlichen Positionen, vor allem aber bei der strategischen Ausrichtung, mittlerweile zu tief«. Die Redaktion der Zeitschrift »Sozialismus« formuliert die Herausforderung so: »Wie der allenthalben bekräftigte Wunsch vieler Delegierter des Parteitags, dass sich die Partei nicht endgültig ins politische Abseits manövrieren möge, Realität werden kann, dafür muss das neugewählte Spitzenpersonal und der deutlich verkleinerte Parteivorstand den Auftrag zum Neuanfang konkretisieren«.
Mit Blick auf die Rede des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der in Erfurt von der Notwendigkeit gesprochen hatte, sich den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu stellen und für sie verständliche politische Antworten zu entwickeln, befinden die Kolleg*innen von »Sozialismus«, dass die LINKE »bis dahin noch einen weiten Weg vor sich hat und die Herausforderungen längst noch nicht überall angekommen sind«, die habe in Erfurt eine »eher enttäuschende Generaldebatte deutlich« gemacht, »in der diese Punkte kaum aufgegriffen wurden«.
Martin Schirdewan, neu gewählter LINKEN-Vorsitzender neben Janine Wissler, betonte in seinem Rückblick auf den Bundesparteitag unter anderem das oft angeführte Problem einer »Vielstimmigkeit«. Die Vielfalt der Partei »entwickelte sich in den letzten Jahren immer mehr von der Bereicherung zur Beliebigkeit. Vor allem, weil inhaltliche Klärungsprozesse nicht stattgefunden haben«. Damit sei nun endlich in Erfurt begonnen worden, auch mit Blick auf die viel diskutierten internen Konflikte sagte Schirdewan, er »habe aber wahrgenommen, dass alle Beteiligten verstanden haben, dass ein Weiter-so eine Verschärfung der hausgemachten Krise bedeutet«. Die Partei müsse »eine Trendwende hinbekommen und das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wiedergewinnen. Auf dem Parteitag ist auch deutlich geworden, wie viel Freude, Lebendigkeit und Potenzial in der Partei stecken.«
Eine große Rolle spielte über den gesamten Parteitag hinweg die Kritik an Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffe. Aktive des Jugendverbandes haben immer wieder Fälle geschildert und eindringlich mehr Engagement dagegen gefordert. Unter der Überschrift »Es ist nicht vorbei« fasst Jana Frielinghaus zusammen, welche Rolle #LinkeMeToo in Erfurt und darüber hinaus spielte.
Die Delegierten haben in Erfurt einen neuen, nun verkleinerten Parteivorstand bestimmt. Die Wahlergebnisse finden sich hier; eine Einordnung aus Sicht der Redaktion des »nd« kann man hier lesen. Der sehr gedrängte Zeitplan und das Diskussionsbedürfnis vieler Delegierter sorgten dafür, dass von den ursprünglich geplanten drei Leitanträgen nur zwei nach langen Debatten und vielen kontrovers behandelten Änderungsanträgen beschlossen werden konnten. Eine Übersicht über alle Beschlüsse findet man hier.
Unter der Überschrift »Gemeinwohl statt Profit. Klimagerechtigkeit statt Aufrüstung« positionierte sich der Bundesparteitag vor allem mit Blick auf Klimakrise, soziale Widersprüche und Ampel-Politik (hier der Beschlusstext). Keineswegs weniger Diskussionen hatte es zum Leitantrag »Kriege und Aufrüstung stoppen. Schritte zur Abrüstung jetzt! Für eine neue Friedensordnung und internationale Solidarität« gegeben (hier der Beschlusstext), in dem die LINKE unter anderem »den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste« verurteilt und Solidarität mit »den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen« erklärt.
In diesem Zusammenhang sollte die Rede von Olena Slobbodian von der ukrainischen Linken »Sozialny Rukh« hervorgehoben werden. Auch die Gastansprache der russischen Linken Oxana Timofeeva, die »das Streben nach Ausdehnung der Staatsgrenzen durch Aggression gegen Nachbarländer« als zur »Politik des russischen Raubtierkapitalismus« gehörend kritisierte, »der sich auf den Handel mit Öl und Gas stützt«. Und weiter: »Im Westen gibt es Leute, die Putin bis heute unterstützen. Sie glauben, er kämpft gegen den US-Imperialismus in Gestalt der NATO und will die UdSSR wiederherstellen. Leider haben sie keine Ahnung, was Putins Regime in Wirklichkeit darstellt, in welchem Maß es das Volk und die Arbeiterklasse unseres Landes unterdrückt und erniedrigt. Wichtiger noch: Sie denken nicht an das ukrainische Volk, das nun schon vier Monate lang von der russischen Armee zynisch und gezielt vernichtet wird.«
Hinweise auf die Anträge, die nicht mehr zur Abstimmung kommen konnten und nun in Parteivorstand oder Bundesausschuss weiterbehandelt werden, finden sich hier. Dazu gehören unter anderem Initiativen für eine »Kommission zur Reform der Partei- und Entscheidungsstrukturen« und zur Weiterentwicklung des Grundsatzprogramms. Der vom vorigen Parteivorstand noch eingebrachte Leitantrag »DIE LINKE aufbauen« wurde ebenfalls an den Bundesausschuss verwiesen. »Nur wenn wir uns verändern, können wir wieder Vertrauen gewinnen. Veränderung heißt dabei ausdrücklich nicht, sich an den Zeitgeist anzupassen. Es geht darum, DIE LINKE als sozialistische Partei weiterzuentwickeln und ihre linken Kernpositionen auf der Höhe der Zeit fortzuentwickeln: durch Aktualisierung linker Antworten auf inzwischen aufgekommene neue gesellschaftliche Fragen. Es geht nicht darum, etwas zu verlieren, sondern ganz im Gegenteil darum, etwas zu gewinnen«, heißt es darin unter anderem. (aus Susannes Büros)